Die Coronavirus-Pandemie überfordert seit Wochen in manchen Regionen Deutschlands die Krankenhäuser. Einige Fachleute warnen daher vor der sogenannten Triage – einem System der Kategorisierung von Patienten, bei dem die hoffnungslosesten Fälle bei fehlenden Kapazitäten nicht mehr behandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht sieht nun auch den Gesetzgeber gefragt, um behinderte Menschen vor Benachteiligung zu schützen.
Der Begriff „Triage“ leitet sich von dem französischen Wort „trier“ ab, das „sortieren“ oder auch „aussortieren“ bedeutet. Entwickelt wurde die Triage von dem russischen Arzt Nikolai Pirogow, um im Krimkrieg (1853 bis 1856) mit der hohen Zahl verletzter Soldaten umzugehen.
Bis heute wird die Triage in außergewöhnlichen Situationen wie Naturkatastrophen, Unfällen mit zahlreichen Opfern und nach Anschlägen angewendet. Binnen kurzer Zeit werden Patienten nach der Dringlichkeit ihrer Behandlung eingeteilt. In der Fachliteratur wird hervorgehoben, dass „ein erfahrener Notfallarzt mit einer speziellen Zusatzausbildung“ diese Aufgabe übernehmen sollte.
Im Fall der Coronavirus-Pandemie geht es bei der Triage in der Regel darum, wer bei einem Mangel an Intensivbetten und Beatmungsgeräten intensivmedizinisch behandelt wird. Dabei spielen in der Praxis außer dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten und der Schwere seiner Symptome auch sein Alter eine Rolle.
In einer bereits Ende März 2020 veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung forderte der Deutsche Ethikrat, Ärzte mit der Triage nicht allein zu lassen: Es bedürfe „weithin einheitlicher Handlungsmaximen für den klinischen Ernstfall nach wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien“, hieß es.
Im März 2021 diskutierte der Ethikrat mit externen Sachverständigen über die Priorisierung bei lebensrettenden Maßnahmen, wobei einmal mehr deutlich wurde, wie kontrovers diese Frage bewertet wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie die scheidende Bundesregierung keine gesetzliche Regelung zur Triage beschloss.
In der Praxis können sich Ärzte in Deutschland an Handlungsempfehlungen der Fachgesellschaften halten. Diese legen als Kriterium ausdrücklich den klinischen Erfolg und nicht das Alter fest.
In den fachlichen Empfehlungen heißt es, eine Intensivtherapie sei dann nicht indiziert, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen habe oder wenn die Therapie aussichtslos sei, weil keine Besserung oder Stabilisierung zu erwarten sei. Auch wenn das Überleben nur bei dauerhaftem Aufenthalt auf der Intensivstation gesichert werden kann, können Patienten von der intensivmedizinischen Betreuung ausgeschlossen werden.
Ende November sah sich die Deutsche Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) veranlasst, ihre Triage-Leitlinie mit einer Klarstellung zum Umgang mit Impfverweigerern zu aktualisieren. Menschen mit Corona-Impfung werden demnach nicht gegenüber Ungeimpften bevorzugt. Der Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, Georg Marckmann, begründete die Richtlinie damit, dass „Leistungsansprüche in unserem solidarischen Gesundheitssystem aus guten ethischen Gründen nicht von Kriterien wie ‚Selbstverschulden‘ oder ‚Eigenverantwortung‘ abhängig gemacht“ würden.
„Dies gilt nicht nur für Übergewicht, Rauchen oder Risikosportarten, sondern auch für die Entscheidung zum Verzicht auf eine SARS-CoV-2-Impfung“, hoben die Fachgesellschaften hervor. Desweiteren wurde in der Divi-Leitlinie klargestellt, dass bei einer weiteren Ausweitung von Behandlungskapazitäten für Covid-19-Patienten Patienten mit anderen Erkrankungen „nicht benachteiligt werden“ dürften.