Hinter verschlossenen Türen beginnt in Rom am Montag die Wahl des neuen italienischen Staatspräsidenten. Als einer der Favoriten bei der geheimen Abstimmung gilt Italiens Regierungschef Mario Draghi. Doch ein Wechsel des Ministerpräsidenten in den Quirinalspalast könnte die Regierungskoalition vor eine Zerreißprobe stellen.
Die siebenjährige Amtszeit des derzeitigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella endet am 3. Februar. Wer seine Nachfolge antreten könnte, ist selbst für Experten schwierig vorauszusagen. Mehr als 1000 Senatoren, Abgeordnete und Regionalvertreter sind zur Wahl aufgerufen.
In der italienischen Presse zirkulieren seit Wochen mehrere Namen für die Präsidentschaftskandidatur, darunter EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, Justizministerin Marta Cartabia sowie der 82-jährige Giuliano Amato, ein glühender Europäer und Mitverfasser der Europäischen Verfassung.
In der Öffentlichkeit auffälligster Bewerber ist der ehemalige Regierungschef und Medienunternehmer Silvio Berlusconi. Er ließ sich von einer italienischen Tageszeitung, die zu seinem eigenen Medien-Imperium zählt, in höchsten Tönen loben und prahlte mit seinen ausschweifenden Bunga-Bunga-Partys.
Der 85-Jährige strebt schon seit langem in das höchste Amt im Staat und soll einst sogar seiner inzwischen verstorbenen Mutter versprochen haben, Staatspräsident zu werden. Beobachter halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass Berlusconi die nötigen Stimmen zusammenbekommt.
Auch wenn es sich um einen eher repräsentativen Posten handelt, kommt dem Präsidenten der italienischen Republik in Krisenfällen eine zentrale Rolle zu. So war es Mattarella, der Draghi, den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), im Februar 2021 als Ministerpräsidenten ins Spiel brachte, als der damalige Regierungschef Giuseppe Conte seine Parlamentsmehrheit verlor.
Italien braucht mehr denn je eine stabile Führung. Die Regierungsparteien, die sich in einem breiten Bündnis die Macht teilen, befinden sich ein Jahr vor der Parlamentswahl bereits im Wahlkampfmodus. „Dies ist eine wichtige und sehr komplizierte Wahl, denn die politischen Parteien sind schwach und völlig zersplittert“, sagt der Leiter der Luiss School of Government in Rom, Giovanni Orsina, der Nachrichtenagentur AFP.
Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ warnte am Donnerstag, die Präsidentenwahl könne die Regierung „wie ein Erdbeben“ treffen. Italien kämpft derzeit gegen eine neue Corona-Welle, die eine wirtschaftliche Erholung von der durch den Lockdown verursachten Rezession bedrohen könnte.
Ein politisches Chaos in Rom könnte unter anderem die wertvollen Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauplan gefährden. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist mit 191,5 Milliarden Euro in den Jahren 2021 bis 2026 größte Empfängerin des EU-Coronafonds.
Eine Ernennung Draghis zum Staatspräsidenten hätte zur Folge, dass der Posten des Regierungschefs zu einem kritischen Zeitpunkt frei würde. Der 74 Jahre alte Politiker hält seine breite Regierungskoalition mit Erfolg zusammen und genießt internationale Anerkennung. Er führt Italien geschickt durch die Corona-Pandemie und stieß Reformen in den Bereichen Digitalisierung, Verwaltung und Klimaschutz an.
Andererseits wäre Draghi in der Rolle des Staatspräsidenten besser in der Lage, für politische Stabilität und gute Beziehungen zu Brüssel zu sorgen – insbesondere, falls die Rechten die nächste Parlamentswahl gewinnen sollten. Als Staatspräsident wäre Draghi sieben Jahre lang im Amt – als Ministerpräsident droht ihm wegen der Parlamentswahl bereits im kommenden Jahr der Abschied.