Wenn Christine Lagarde zum Bäcker geht, hat sie eines immer im Blick: Als Französin verfolge sie den Preis für gutes Brot „sehr genau“, sagt die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB). Als prima inter pares, also als „Erste unter Gleichen“ der obersten Währungshüter des Euroraums, ist das Management der Inflation die wohl wichtigste Aufgabe der 66-Jährigen – eine Aufgabe, die ihr zuletzt viel abverlangte.
Denn nicht nur die Preise für Brot, sondern auch für Mieten, Strom, Gas und Sprit steigen in der Eurozone deutlich an: Im Euroraum betrug die Inflation im Januar mehr als fünf Prozent und lag somit deutlich über dem erklärten EZB-Inflationsziel von zwei Prozent. Kritiker der lockeren Geldpolitik der EZB sehen die Zeit zum Handeln gekommen, doch die EZB unter der Führung von Lagarde hält sich bisher zurück.
Insbesondere in Deutschland mehren sich die kritischen Stimmen. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland beispielsweise kritisierte die Ankündigung der EZB, in diesem Jahr die Leitzinsen nicht zu erhöhen. Die EZB-Prognose, wonach die Inflationsraten in den kommenden Jahren wieder absinken werde, nannte Wieland „sehr gewagt“ und warnte außerdem vor einer Lohn-Preis-Spirale in Deutschland.
Auch der neue Präsident der Bundesbank, Joachim Nagel, warnte bei seiner Amtseinführung im Januar vor einer Inflationsrate, die „länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet“. Das höchste Gut sei das Vertrauen der Bevölkerung in die Geldwertstabilität – wenn diese es erfordere, müsse der Rat der EZB „handeln und seinen geldpolitischen Kurs anpassen“.
Genau das, betont Lagarde immer wieder, gedenke die EZB zu tun. Zwar korrigierte auch die EZB ihre Inflationsprognosen zuletzt deutlich nach oben, doch noch sieht die EZB-Präsidentin den Zeitpunkt für einen Kurswechsel nicht gekommen.
Die Sorge der Menschen um sinkende Kaufkraft und einen möglichen Vertrauensverlust in den Euro nehme die EZB „nicht auf die leichte Schulter, wir nehmen sie sehr ernst“, erwidert Lagarde ihren Kritikern. Diesen widerspricht Lagarde stets sachlich und in höflichem Ton – denn kritische Stimmen ist sie gewohnt, nicht erst seitdem sie im Jahr 2019 die Führung der EZB übernahm.
Als erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) navigierte sie zuvor ab 2011 die internationale Finanzorganisation mit rund 190 Mitgliedstaaten durch die Untiefen der Euro-Krise und erarbeitete sich einen Ruf als Vorzeigechefin und gewiefte Taktikerin.
Rückschläge musste Lagarde hingegen bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in Argentinien hinnehmen – eine Rekordhilfe von 57 Milliarden Euro gewährte der IWF dem Land, mit nur mäßigem Erfolg. Lagarde gestand ein, der IWF habe die Lage „unterschätzt“, bestand aber auch darauf, dass es ohne ein Eingreifen des IWF „viel schlimmer“ hätte kommen können.
Reichlich Erfahrung im Krisenmanagement hatte Lagarde bereits zuvor gesammelt. 2007 hatte der konservative Präsident Nicolas Sarkozy die damalige Außenhandels-Staatssekretärin Lagarde zur ersten Finanzministerin Frankreichs ernannt, nur ein Jahr bevor die globale Finanzkrise ausbrach – auch Frankreich wurde von den Folgen schwer getroffen.
In Krisenzeiten einen kühlen Kopf bewahren – spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie und der Entscheidung für das 1,85 Billionen Euro schwere Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) war diese Eigenschaft auch an der Spitze der EZB gefragt. „Zähne zusammenbeißen und lächeln“, so habe sie es im Alter von 15 Jahren von ihrem Trainer gelernt, als sie Mitglied in der französischen Nationalmannschaft im Synchronschwimmen war, erzählte Lagarde einmal.
Und noch etwas habe sie aus ihrer Zeit als Synchronschwimmerin mitgenommen: Man kämpft nie für sich alleine, sondern immer für das Team. So sei es auch im EZB-Rat, alle Meinungen und Bedenken könnten dort vorgetragen werden, das sei Teil ihres „Führungsstils“, sagt Lagarde. Nur so könne „so viel Konsens wie möglich“ erzielt werden. Die EZB-Chefin sagt aber auch: Bei allen Entscheidungen einer Meinung sein, das geht nicht.