Deutschland hat bei einem informellen Treffen der EU-Umweltminister seine Ablehnung eines europäischen Ökosiegels für Atomkraft bekräftigt. „Wir werden deutlich machen, dass wir die Aufnahme der Atomkraft schwierig finden“, sagte Umwelt-Staatssekretär Stefan Tidow am Donnerstag im nordfranzösischen Amiens der Nachrichtenagentur AFP. „Aus unserer Sicht ist Atomkraft keine grüne Energie, die Endlagerfrage ist ungelöst“, sagte Tidow. Atomkraft sei auch nicht wirtschaftlich, wenn das Haftungsrisiko berücksichtigt werde.
„Da hat die deutsche Bundesregierung eigentlich eine klare Haltung“, sagte Tidow zum Auftakt des Treffens der EU-Umweltminister. Auf die Frage, ob Deutschland eine Chance habe, die Aufnahme der Atomenergie in die Liste nachhaltiger Investitionen zu verhindern, antwortete er ausweichend. „Wir sind ja noch gar nicht so weit. Wir werden jetzt erstmals Stellung nehmen, als Bundesregierung“, sagte er. Erst wenn die Kommission ihren Vorschlag vorlege, stelle sich die Frage, wie Deutschland sich dazu verhalte.
Die französische Umweltministerin Barbara Pompili räumte ein, dass Atomkraft Probleme bereite. „Natürlich kann man nicht von grüner Energie sprechen, denn es werden Abfälle produziert, die Folgen für die künftigen Generationen haben“, sagte die Gastgeberin des Treffens. Aber weil Atomkraft kaum Treibhausgase verursache, könne Frankreich nicht darauf verzichten, wenn es seinen Ausstoß verringern wolle.
Tidow zeigte sich zuversichtlich, dass diese Frage die deutsch-französischen Beziehungen nicht belasten werde. „Wir haben unterschiedliche Interessen, eigene Interessen, aber das ist doch ganz normal in dem Geschäft“, betonte er. Frankreich, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, liegt als Atomland viel daran, die sogenannte Taxonomie so bald wie möglich zu verabschieden. Die Einstufung als nachhaltige Energie ist eine Art Empfehlung für Investoren.
Die EU-Staaten haben noch bis zum Freitag Zeit, um sich zum Vorhaben der Kommission zu äußern. Anschließend will Brüssel den Text offiziell vorstellen. Ein Kommissionssprecher sagte am Donnerstag, dass es dafür noch keinen Termin gebe. „Wir wollen so schnell wie möglich eine Entscheidung“, sagte der Sprecher.
Theoretisch können der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament die Umsetzung dann noch stoppen. Neben Deutschland haben bislang nur Österreich und Luxemburg ihre Ablehnung offen kundgetan. Im Rat bräuchte es bedeutend mehr Gegenstimmen. Die österreichische Regierung bereitet für den Fall, dass die EU-Kommission Atomkraft als nachhaltige Energiequelle einstuft, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vor.
Österreichs Umweltministerin Leonore Gewesseler sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Frage der Endlagerung von Atommüll sei „seit Jahrzehnten“ nicht gelöst. „Das ist als ob wir unseren Kindern einen Rucksack mitgeben und sagen ‚Ihr werdet das schon irgendwann einmal lösen‘.“ Dabei seien die Schäden, welche die Energieproduktion mit Kernkraft in der Vergangenheit verursacht habe, gut dokumentiert.
Insbesondere Frankreich und viele östliche EU-Länder befürworten Kernenergie aber ausdrücklich als „saubere“ Energiequelle.
Bei dem dreitägigen Treffen in Amiens sollte es außerdem um gemeinsame Vorschriften zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und einen nachhaltigeren Umgang mit chemischen Produkten gehen. Auf dem Programm stand auch der Kampf gegen die Abholzung von Wäldern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will sich während der französischen EU-Ratspräsidentschaft für ein Importverbot für Produkte einsetzen, für die Regenwälder abgeholzt werden – also etwa Sojabohnen, Palmöl oder Rindfleisch.
Am Samstag wollen die EU-Energieminister unter anderem über eine Regulierung der Energiepreise, über Energieeffizienz und die Entwicklung der Wasserstoff-Produktion in Europa beraten.