Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will ungeachtet der Rücktrittsforderungen wegen des Skandals um Lockdown-Partys in seinem Umfeld die Regierungsgeschäfte normal weiterführen. „Wir – und insbesondere ich – machen mit der Arbeit weiter“, entgegnete Johnson am Mittwoch im Londoner Unterhaus auf die scharfe Kritik vieler Abgeordneter. Die Opposition bekräftige ihre Rücktrittsforderung und forderte die vollständige Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts zu den Party-Vorwürfen.
Johnson habe „nichts als Verachtung für den Anstand, die Ehrlichkeit und den Respekt gezeigt, die dieses Land auszeichnen“, sagte der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer. Er gehe davon aus, dass der Untersuchungsbericht der Regierungsbeamtin Sue Gray bald veröffentlicht werde und Johnson „heute oder morgen“ darauf werde reagieren müssen.
In den vergangenen Wochen hatte es Enthüllungen über eine ganze Reihe von Feiern und Zusammenkünften am Regierungssitz in der Downing Street und im Regierungsviertel gegeben, die mutmaßlich unter Missachtung der geltenden Corona-Regeln stattgefunden hatten. Johnson nahm nachweislich teilweise selbst teil oder soll die Regelverstöße zumindest gebilligt haben. Am Dienstag leitete die Londoner Polizei Ermittlungen zu den Vorwürfen ein.
Johnson und seine Regierung weisen Rücktrittsforderungen unter Verweis auf den ausstehenden Untersuchungsbericht zurück. Die polizeilichen Ermittlungen könnten die Veröffentlichung des Berichts jedoch beeinflussen: Nach Angaben von Johnsons Sprecher sollen Gray und ihr Team die polizeilich untersuchten Umstände zunächst aussparen. Die Opposition forderte hingegen die vollständige Veröffentlichung des Berichts.
Entgegen mancher Erwartung erklärte die Regierung am Mittwochnachmittag, den Bericht der Regierungsbeamtin noch nicht erhalten zu haben. Der Sender Sky News berichtete, die Veröffentlichung könnte unter Umständen erst in der kommenden Woche erfolgen.
Der Bericht gilt als richtungsweisend für das Zustandekommen eines parteiinternen Misstrauensvotums gegen den Premier. Eine Handvoll Tory-Abgeordneter hat sich bereits offen für diesen Schritt ausgesprochen. Insgesamt müssten aber mindestens 15 Prozent der Konservativen – also 54 – für ein solches Votum plädieren. Viele von ihnen haben angegeben, auf die Schlussfolgerungen des Gray-Berichts warten zu wollen, um ihre Entscheidung zu treffen.