Für Kirchenrechtler und Missbrauchsopfer ist Papst Benedikt XVI. als Lügner ertappt

Papst emeritus Benedikt XVI. ist derzeit zu Besuch in Regensburg. - giulio napolitano/Shutterstock.com
Papst emeritus Benedikt XVI. ist derzeit zu Besuch in Regensburg. - giulio napolitano/Shutterstock.com

Papst Benedikt XVI. ein Lügner, Kardinal Reinhard Marx ignorant gegenüber Opfern sexuellen Missbrauchs: Diese Bewertungen von Kirchenrechtlern und Missbrauchsopfern stehen für die schwärzeste Stunde in der an schwarzen Stunden bereits überreichen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals der katholischen Kirche in Deutschland, die sich am Donnerstag in München vollzieht. Das dort von drei Rechtsanwälten vorgestellte neue Gutachten übertrifft schlimmste Erwartungen – die Gutachterin Marion Westpfahl empfiehlt der katholischen Kirche Beichte und Reue.

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht Benedikt mit dem neuen Münchner Gutachten als Lügner ertappt. „Erschreckend ist das Lügen, das Unwahrheitsagen von Joseph Ratzinger“, sagt Schüller im Bayerischen Rundfunk. „Er hat heute sein eigenes Lebensbild zerstört.“ Ähnlich sieht es Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch. „Wir wissen jetzt, dass Ratzinger bis heute lügt über seine Verantwortung.“

Schüller und Katsch begründen ihr Urteil über Benedikt mit dem bei der Vorlage des Gutachtens bekannt gewordenen Inhalt einer 82-seitigen Stellungnahme von Benedikt. Im Kern erklärte sich Benedikt darin zum Priester Peter H., dessen Fall als beispielhaft für das Versagen der Institution Kirche im Umgang mit Pädophilen gilt.

H. missbrauchte in den 70er Jahren im Bistum Essen Jungen. 1980 kam er zur Therapie nach München, Ratzinger stimmte als damaliger Erzbischof seiner Aufnahme zu. Bald wurde H. wieder in Gemeinden eingesetzt und missbrauchte wieder Kinder – dass Benedikt dafür Mitverantwortung trägt, ist nach Einschätzung der Gutachter nun erwiesen.

Sie werfen dem emeritierten Papst in insgesamt vier Fällen vor, pädophile Priester in Gemeinden eingesetzt zu haben. Benedikt habe ein Fehlverhalten „strikt“ zurückgewiesen, sagt Gutachter Martin Pusch. Doch die Rechtsanwälte sezieren präzise Widersprüchlichkeiten des 94-Jährigen.

Benedikt, der nach seiner Zeit in München als Chef der Glaubenskongregation oberster Hüter der katholischen Wahrheiten war, habe sich etwa mit dem Hinweis herauszureden versucht, ein Schreiben, das nachweislich bei ihm eingegangen sei, habe er ja damit nicht nachweislich gelesen.

Die Gutachter erklärten, „zu unserer Überraschung“ habe Benedikt auch bestritten, an der Sitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen zu haben, in der über die Aufnahme von H. in München entschieden wurde. Doch Ratzinger wird in dem Protokoll der Sitzung direkt zitiert.

Anhänger des greisen Papsts werden womöglich argumentieren, er habe seine Stellungnahme vielleicht ja gar nicht selbst geschrieben. Tatsächlich schreiben die Rechtsanwälte viele Passagen Benedikts Beratern zu. Aber Benedikt unterschrieb persönlich und erklärte, alles verstanden zu haben.

Ein besonders skandalös wirkender Aspekt ist der Kurswechsel des ehemaligen Münchner Generalvikars Gerhard Gruber. Der hatte 2010 alleinige Verantwortung für den Fall H. übernommen und war zurückgetreten. Jetzt sagte Gruber den Gutachtern, Ratzinger habe von der Vorgeschichte des Priesters gewusst.

Zu seiner damaligen Falschaussage sei er im Erzbistum gedrängt worden. Das würde bedeuten, dass 2010 bewusst gelogen wurde, um den amtierenden Papst zu schützen – wäre seine Mitverantwortung schon damals nachgewiesen worden, hätte es einen weltweiten Skandal gegeben.

Katsch sagte dem Sender „Welt“, in München sei damals ein Gebäude zum Schutz des Papsts errichtet worden. Dieses sei nun zusammengebrochen.

Münchner Erzbischof war 2010 schon Kardinal Reinhard Marx. Ob Marx an diesem Gebäude mitwirkte, ist bislang nicht erwiesen. Doch auch Marx wird vom Gutachten belastet – er soll ignorant mit Missbrauchsfällen umgegangen sein.

Die vom Verhalten des Klerus erkennbar abgestoßene Gutachterin Westphal, Mitinhaberin der für das Gutachten verantwortlichen Kanzlei, sieht für die katholische Kirche nun nur einen Ausweg. Die Kirche müsse beherzigen, was ihr vor ihrer ersten Beichte vor mehr als einem halben Jahrhundert aufgetragen wurde, sagte Westphal.

Damals sei den jungen Mädchen von Priestern erklärt worden, zunächst Gewissenserforschung betreiben zu müssen. Dann sollten sie in der Beichte die Sünden bekennen. Darauf folgen müsse aber die Reue. Was zehnjährigen Kindern abverlangt werde, müsse nun die Messlatte auch für die Institution Kirche sein, mahnte die lebenserfahrene Juristin.

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