Vier Monate am Stück hatte die türkische Zentralbank zuletzt die Leitzinsen abgesenkt – trotz eines explosionsartigen Anstiegs der Inflation. Am Donnerstag beließ die Zentralbank in Ankara nun unter dem Druck der Märkte den Leitzins vorerst bei 14 Prozent. Nur zwei Tage zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, ein entschiedener Gegner hoher Leitzinsen, angekündigt, künftige Zinssenkungen könnten „schrittweise und ohne Eile“ erfolgen.
Erdogan führt einen selbst erklärten „Krieg um wirtschaftliche Unabhängigkeit“. Sein Ziel ist es, dass über niedrige Zinsen günstige Kredite vergeben und die Exporte hochgefahren werden. Die jährliche Inflationsrate in der Türkei hatte zuletzt mit 36 Prozent allerdings den höchsten Stand seit 19 Jahren erreicht. Im vergangenen Jahr verlor die Lira 44 Prozent ihres Werts gegenüber dem Dollar.
Gleichzeitig schmolzen die Nettoreserven der türkischen Zentralbank – von 21,1 Milliarden Dollar (18,6 Milliarden Euro) im Dezember auf 7,9 Milliarden Dollar am 7. Januar. Diese Reserven gelten als ein wichtiger Indikator der wirtschaftlichen Stabilität und der Fähigkeit, einer möglichen Krise im Bankensektor zu begegnen.
Entgegen der weithin verbreiteten Lehrmeinung unter Ökonomen, dass niedrige Zinsen die Geldmenge und somit auch die Inflation erhöhen, vertritt Erdogan den Standpunkt, dass hohe Zinsen zu hoher Inflation führen. Zudem verweist er auf islamische Regeln, die Wucherzinsen verbieten.
Die meisten Zentralbanken gehen genau andersherum vor: Droht eine Volkswirtschaft zu überhitzen, erhöhen sie die Zinsen. Dies erhöht die Kosten für Kredite und senkt somit die Nachfrage insgesamt ab. Hohe Zinsen können auch dazu dienen, Währungen zu stabilisieren, indem sie den Gewinn auf angelegtes Vermögen und Investitionen erhöhen.
Die Türkei, so Erdogan, habe jedoch ein „neues wirtschaftliches Modell“ für nachhaltiges Wachstum entwickelt. Die hohe Inflationsrate erklärt die türkische Regierung mit externen Faktoren, wie den Wechselkursen an den internationalen Währungsmärkten, hohen Preisen für Rohstoffe und Lieferengpässen aufgrund der Corona-Pandemie.
Viele Menschen in der Türkei versuchen indes, ihr Geld in Gold oder Dollar umzutauschen, um ihr Vermögen vor der hohen Inflation zu schützen. Die Regierung steuerte dieser Entwicklung Ende vergangenen Jahres mit einem neuen Mechanismus für Bankeinlagen entgegen, der vor Wertverlusten infolge von Wechselkursentwicklungen schützen soll.
Neue Daten vom Donnerstag zeigen jedoch: 62,2 Prozent aller Einlagen in der Türkei werden noch immer in Dollar gehalten. Im Vergleich zur Vorwoche war der Anteil um lediglich 1,4 Prozentpunkte zurückgegangen. Wirtschaftsexperten vermuten, dass der neue Mechanismus auch deshalb nur einen geringen Effekt hat, weil er Verbraucherinnen und Verbraucher verpflichtet, für mindestens drei Monate türkische Lira zu halten.