In den Reihen der britischen Konservativen wächst wegen des Skandals um Partys am Regierungssitz der Widerstand gegen Premierminister Boris Johnson. Nach den jüngsten Enthüllungen hätten sich 20 konservative Abgeordnete getroffen, um vor einer Parlamentsbefragung des Premiers am Mittwoch über ein Misstrauensvotum gegen Johnson zu beraten, berichtete die „Times“. Ein konservativer Abgeordneter lief aus Protest sogar zur oppositionellen Labour-Partei über.
Mehrere britische Medien berichteten über eine Gruppe mehrheitlich junger Tory-Abgeordneter, die nach Johnsons klarem Wahlsieg 2019 erstmals ins Parlament eingezogen waren, als schärfste parteiinterne Kritiker des Premiers. Viele von ihnen kommen demnach aus den ehemaligen Kerngebieten der oppositionellen Labour-Partei in Nordengland.
In dieses Profil passt auch der 37-jährige Abgeordnete Christian Wakeford aus der Nähe von Manchester. Er ging jedoch noch einen Schritt weiter und kehrte den Tories am Mittwoch zugunsten von Labour den Rücken. „Sie und die Konservative Partei als Ganzes haben sich als unfähig erwiesen, die Führung und die Regierung anzubieten, die dieses Land verdient“, schrieb Wakeford an Johnson.
Dem „Daily Telegraph“ zufolge haben elf Abgeordnete, die 2019 erstmals gewählt wurden, bereits ein Misstrauensvotum eingereicht. Insgesamt müssten mindestens 54 Tory-Abgeordnete eine Rücktrittsforderung an den Premier richten, um parteiintern ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Nach Einschätzugn des „Daily Telegraph“ könnte diese Schwelle am Mittwoch erreicht werden. Zuvor war in der Presse bereits die Rede von rund 30 konservativen Abgeordneten gewesen, die ein solches Verfahren unterstützen würden.
Johnson steht wegen Berichten über eine ganze Reihe von Partys am Regierungssitz Downing Street während strikter Corona-Lockdown-Regeln unter Druck, an denen er zum Teil auch selbst teilgenommen hat. Am Dienstag wies er allerdings Vorwürfe eines Ex-Spitzenberaters zurück, er habe das Parlament zu einer der Partys belogen – und er bekräftigte seine Darstellung, dass er bei einer Gartenparty am Regierungssitz in der Downing Street im Mai 2020 davon ausgegangen sei, dass es sich um ein Arbeitstreffen handelte.
Vergangene Woche hatte Johnson im Parlament den Besuch der Party am 20. Mai 2020 eingeräumt und um Entschuldigung gebeten. Damals befand sich das Land im strikten Corona-Lockdown und selbst Treffen von mehr als zwei Menschen im Freien waren verboten.
Johnsons ehemaliger Berater Dominic Cummings bezichtigte den Premier daraufhin der Lüge. Tatsächlich sei Johnson von Cummings selbst sowie von zwei hochrangigen Beamten wegen der Gartenparty gewarnt worden. Johnson habe dies jedoch ignoriert und die weitere Organisation des Festes befürwortet.
Cummings war im Frühjahr 2020 selbst wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln in die Kritik geraten. Seit seinem Rücktritt im November 2020 hat er seinen früheren Chef mehrfach attackiert.
Mehrere Abgeordnete seiner konservativen Tory-Partei sowie die Opposition haben bereits öffentlich Johnsons Rücktritt gefordert. Der Fall sowie weitere mutmaßliche Corona-Regelverstöße von Johnsons Mitarbeitern werden derzeit von der Regierungsbeamtin Sue Gray untersucht. Sie könnte ihren Bericht in den nächsten Tagen vorlegen.
Johnson und seine Regierung verwiesen bislang darauf, den Bericht abwarten zu wollen. Am Mittwoch droht dem Premier bei einer wöchentlichen Fragestunde im Londoner Unterhaus aber neues Ungemach. Medienberichten zufolge wollte Johnson bei der Gelegenheit mit einer Reihe populärer Ankündigungen, darunter die Aufhebung der meisten der ungeliebten Coronavirus-Beschränkungen, die Gunst der öffentlichen Meinung zurückgewinnen.