Führende Vertreter der deutschen Wirtschaft machen Druck auf die Ampel-Koalition, die Abwicklung von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen. „Schnellere Genehmigungs- und Planungsverfahren müssen zu den Top-Prioritäten der neuen Regierung gehören“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, dem „Handelsblatt“ vom Donnerstag. Die Pläne von SPD, Grünen und FDP in diesem Bereich hält er für zu wenig ambitioniert.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es, im ersten Jahr der Regierung sollten „alle notwendigen Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden, um private wie staatliche Investitionen schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können“. Ziel sei es, „die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren“.
Russwurm kritisierte, eine Halbierung der Verfahrensdauer sei „nicht ausreichend, wenn die Regierung ihre Ziele erreichen, Zeitpläne einhalten und notwendige Investitionen sicherstellen will“. Für den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, wäre eine Halbierung der Verfahrensdauer ein „wichtiger erster Schritt“. In vielen Fällen sei jedoch eine „noch stärkere Beschleunigung“ nötig, sagte er dem „Handelsblatt“.
Dass etwa der Neubau der Talbrücke Rahmede der A45 im Sauerland fünf Jahre dauern solle, grenze für die betroffene Wirtschaft vor Ort und den Transitverkehr an „eine Katastrophe“, sagte Adrian der Zeitung. „Auch für solche existenziellen Verkehrsprojekte brauchen wir ebenfalls deutlich mehr Tempo.“
Laut BDI-Präsident Russwurm hat sich die Dauer von Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen in den vergangenen Jahren fast verdreifacht. Die Hauptursache für die Problematik sieht er im Umwelt- und Planungsrecht sowie in einer „deutschen Übererfüllung“ europäischer Vorgaben. Es sei zwingend notwendig, das europäische Umweltrecht zu vereinfachen und in Deutschland zu einer effizienteren Anwendungspraxis zu kommen, forderte der Industrievertreter.
Der Hauptgeschäftsführer des Familienunternehmer-Verbandes, Albrecht von der Hagen, erklärte, Deutschland verliere im OECD-Vergleich „immer mehr an Attraktivität“. Die Bundesregierung müsse deshalb „unbedingt dafür sorgen, dass Investitionen am Standort Deutschland um so vieles schneller realisiert werden können als es hier teurer ist“, forderte er. Dafür reiche es keinesfalls, „wenn jetzt nur der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür nötigen Netze ermöglicht wird“. Alle Unternehmen bräuchten für ihre Investitionsvorhaben verkürzte Planungs- und Genehmigungsverfahren und schnellere Rechtswege.
Die Beschleunigung von Zukunftsinvestitionen ist am Freitag Thema der ersten Kabinettsklausur der neuen Bundesregierung im Kanzleramt. Schwerpunktthema dort ist neben der deutschen G7-Präsidentschaft die Energiewende, bei der die Beschleunigung von Planungsverfahren ebenfalls eine zentrale Rolle spielt.
Bei der Windenergie an Land ging es zuletzt nach Angaben des Bundesverbands Windenergie (BWE) und von VDMA Power Systems zuletzt ebenfalls zu langsam voran. Zwar liege der Bruttozubau 2021 35 Prozent über dem des Vorjahres. Wie schon im Jahr 2020 reiche „diese Zubaumenge allerdings nicht aus, um den Klimazielen der Bundesregierung und dem wachsenden Strombedarf für klimaneutrale Energie gerecht zu werden“.