Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Ministerpräsidenten der Bundesländer davor gewarnt, in einen Lockerungs-Wettlauf bei den Corona-Eindämmungsmaßnahmen einzutreten. Er wandte sich am Freitag in Berlin zugleich gegen parteitaktische Manöver bei der Impfpflicht und kündigte an, dass die kostenlosen Schnelltests erhalten bleiben. Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist trotz der rückläufigen Infektionsraten der Scheitelpunkt auf den Intensivstationen noch nicht erreicht.
„Wenn wir zu schnell öffnen, dann steigen die Fallzahlen wieder“, sagte Lauterbach. Es dürfe lediglich „maßvolle“ Lockerungen geben. Daher appelliere er an die Regierungschefs in den Ländern, nicht über die am Mittwoch beschlossenen Maßnahmen hinauszugehen. „Wir müssen das umsetzen wie ein Uhrwerk.“ Es wäre falsch, mit weitergehenden Lockerungsmaßnahmen „politische Geländegewinne“ machen zu wollen, fügte der Bundesgesundheitsminister.
Lauterbach begründete seine Einschätzung mit den bestehenden Risikofaktoren. So sei die Omikron-Variante BA.2 nach jüngsten Forschungserkenntnissen nicht nur ansteckender, ihr Verlauf sei auch etwas schwerer. Außerdem gebe es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern drei bis vier Mal so viele Ungeimpfte in der Altersgruppe von über 60 Jahren.
Lauterbach sprach auch mit Blick auf den Herbst von Risiken. Es könne zu Varianten kommen, die tiefer als Omikron in das menschliche Gewebe eindringen. Dies wäre gefährlich. Deshalb sei er für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren und werde im Bundestag für den entsprechenden Gruppenantrag stimmen.
Der Gesundheitsminister bezeichnete zugleich die konkurrierende Vorlage der Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann als „vornehmen Antrag“, der den Problemen gerecht werde. Die Union warnte er wiederum davor, die Impfpflicht aus politischem Kalkül heraus verhindern zu wollen. Es sei falsch, der Ampelkoalition hier einen „Denkzettel“ verpassen zu wollen, sagte der Minister. „Ich kann nur hoffen dass das nicht passiert.“
Lauterbach geht davon aus, dass die Impfzentren trotz erneut gesunkener Impfzahlen weiter offen bleibe. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Länder beim Bund entsprechende Mittel beantragt hätten.
Nach Angaben des Gesundheitsministers wird es trotz der bevorstehenden Lockerungen bei den kostenlosen Schnelltests bleiben. Es stehe derzeit nicht zur Debatte, sie auslaufen zu lassen, denn es solle keinen „Blindflug“ geben. Die Schnelltest würden zudem wegen der Priorisierung bei den PCR-Tests an Bedeutung gewinnen.
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist“, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade auf der Pressekonferenz. Die Fallzahlen seien in den vergangenen Tagen bundesweit leicht gesunken, was sich auch an der rückläufigen Zahl der PCR-Tests zeige. „Allerdings ist der Scheitelpunkt für die Intensivstationen noch nicht erreicht“, warnte Schaade. Denn Menschen mit schweren Erkrankungen würden etwas später in den Krankenhäusern aufgenommen. „Auch für die Todesfälle sehen wir noch keinen sicheren Rückgang.“
Der Braunschweiger Immunologe Michael Meyer-Hermann sagte: „Es ist Licht am Ende des Tunnels.“ Die vorgesehenen Öffnungen müssten genau geplant werden. Zwar sei die Zahl der Corona-Todesfälle in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern niedriger. Es gebe aber auch Länder, die das noch besser „hingekriegt haben“, sagte er mit Blick auf das Beispiel Südkorea.