Doch, die Bestandteile ALC-0315 und ALC-0159 des Biontech-Impfstoffs sind zugelassen und sicher für Kinder

Biontech-Impfstoff - Bild: Tim Reckmann/CC BY 2.0
Biontech-Impfstoff - Bild: Tim Reckmann/CC BY 2.0

Hunderttausende User haben seit Mitte Dezember eine Behauptung verbreitet, wonach zwei Bestandteile des Corona-Impfstoffs Comirnaty von Biontech/Pfizer nicht für die Verwendung bei Menschen zugelassen und damit illegal seien. Die Hersteller der Bestandteile selbst hätten erklärt, diese seien nur für Forschungszwecke einzusetzen, heißt es in einem Video. Die darin auftretende Anwältin Beate Bahner spricht weiterhin von Lebensgefahr für Kinder durch die Impfung mit Comirnaty. Tatsächlich sind die von ihr angesprochenen Stoffe aber von der EU zugelassen und mit Ausnahme seltener allergischer Reaktionen sicher. Das bestätigten das Bundesgesundheitsministerium, der Hersteller der Substanzen sowie unabhängige Expertinnen und Experten gegenüber AFP.

Dutzende Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptungen von Beate Bahner rund um die Impfstoff-Bestandteile auf Facebook geteilt (hierhier). Auf Telegram sahen mehr als eine halbe Million Menschen Bahners Video zum Thema. Die Behauptungen werden auch auf Twitter hundertfach weiter verbreitet und Blog-Artikel zum Thema werden auf Facebook hundertfach geteilt (hierhier ). Nutzerinnen und Nutzer machten AFP auch über WhatsApp auf die Behauptungen aufmerksam.

Die Falschbehauptungen

In ihrem Video behauptet Beate Bahner, der Impfstoff von Biontech/Pfizer sei für Kinder lebensgefährlich. Alle Impfärztinnen und -ärzte machten sich bei der Verabreichung strafbar, weil sie ein bedenkliches Arzneimittel anwendeten. Der Impfstoff enthalte zwei Bestandteile, welche angeblich nicht zur Anwendung am Menschen zugelassen seien. Bahner benennt die Stoffe ALC-0315 und ALC-0159. Laut ihren Aussagen soll der Hersteller der Substanzen selbst auf seiner Webseite erklärt haben, die Stoffe seien nur für Forschungszwecke einzusetzen. In einem Sicherheitsbericht von Pfizer heiße es zudem angeblich, es gebe keine Daten oder Bewertungen zu den Stoffen, auch betreffend Neben- und Wechselwirkungen.

Bahner behauptet außerdem, bereits jetzt gebe es 23 Mal mehr Todesfälle durch die Corona-Impfstoffe als durch Hunderte Millionen Impfungen in den vergangenen 21 Jahren. Seit Beginn der Impfung habe es 1800 gemeldete Todesfälle gegeben, darunter fünf Kinder nach Biontech-Impfung. AFP prüfte die verschiedenen Einzelbehauptungen.

Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 28.01.2022

Wer steckt hinter den Behauptungen aus dem Video?

Die Sprecherin des online verbreiteten Videos stellt sich als Beate Bahner vor und erklärt, sie sei Fachanwältin für Medizinrecht. Online-Referenzen zu ihrer Arbeit belegen diese Aussage (hierhier). Seit Beginn der Corona-Pandemie hat Bahner Medienberichten zufolge wiederholt Falschaussagen rund um das Coronavirus verbreitet (hierhier).

ALC-0315 und ALC-0159 sind wichtige Bestandteile der Impfung

Bei den angesprochenen Impfstoffsubstanzen ALC-0315 und ALC-0159 handelt es sich um sogenannte Lipid-Nanopartikel. Diese dienen dazu, die RNA-Baupläne der Corona-Impfungen zu umhüllen und zu den Körperzellen zu transportieren. Diese fangen dann an, Teile des Corona-Virus herzustellen (mehr dazu hier). Diese Proteine erkennt und beseitigt das Immunsystem und lernt so, sich auch gegen das echte Virus zu wehren. Die Funktionsweise von mRNA-Impfstoffen hat AFP bereits mehrfach erklärt (hierhier).

ALC-0315 und ALC-0159 werden folglich tatsächlich in den öffentlich zugänglichen Listen als Bestandteile des Biontech/Pfizer-Impfstoffs aufgeführt, unter anderem hier bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), hier bei der italienischen Arzneimittelagentur (AIFA) oder hier bei der kanadischen Regierung.

Screenshot der Bestandteile des Comirnaty-Impfstoffs auf der Webseite der kanadischen Regierung: 28.01.2022

Zur Funktionsweise der Lipid-Nanopartikel befragte AFP Annette G. Beck-Sickinger, Professorin für Biochemie und Bioorganische Chemie an der Universität Leipzig. Sie erklärte in einer E-Mail am 21. Dezember:

„Der RNA-Impfstoff kann nicht einfach in den Körper gespritzt werden, dann würde er sofort abgebaut. Er muss mit einer Hülle geschützt werden. Diese Hülle ist eine Mischung von verschiedenen Lipiden (Fettmolekülen), die dann wie eine Art ‚Seifenblase‘ kleine Kügelchen formen.“

Beck-Sickinger erläuterte weiter: „ALC-0315 und ALC-0159 sind zwei künstlich hergestellte Lipide, weiter werden DSPC und Cholesterol, zwei körpereigene Lipide zugesetzt. Diese vier Lipide bilden die Hülle um die mRNA.“

Die Hülle sei extrem wichtig für den Impfstoff als Schutz und Begleiter bis zur Zelle und helfe der mRNA, in die Zelle zu gelangen.

Die Substanzen sind von Gesundheitsbehörden zugelassen

Entgegen der Behauptungen aus Bahners Video haben die EU-Gesundheitsbehörden die beiden Lipide durchaus zur Verwendung in Impfstoffen zugelassen. Diese sind in den Produktinformationen der EU-Behörden dokumentiert. Der Biontech-Impfstoff sei sowohl für Erwachsene als auch Kinder sicher und wirksam, heißt es dort.

Beck-Sickinger erklärte zudem gegenüber AFP: „Bei der Zulassung wird auch die Verträglichkeit der Zusatz- oder Hilfsstoffe geprüft, bei allen bestehen keine Bedenken.“

Zur angeblichen Gefahr der im Impfstoff enthaltenen Lipide kontaktierte AFP zudem das Bundesgesundheitsministerium. Ein Sprecher erklärte am 22. Dezember in einer E-Mail:

„Die Gefahr von allergischen Reaktionen auf die in dem Covid-19 Impfstoff Comirnaty enthaltenen Lipide ALC-0315 und ALC-0159 kann aufgrund der bisherigen klinischen Daten als äußerst gering angesehen werden.“

Die Qualität der Lipide wird laut Ministerium zudem auch nach der Zulassung überwacht und bewertet. Dies gelte vor allem für später auftretende Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe und geschehe weltweit.

„Durch die Zusammenfassung von nationalen und internationalen Beobachtungen kann sichergestellt werden, dass auch Risiken von Impfstoffen erfasst werden, die so selten sind, dass sie erst bei einer sehr großen Anzahl durchgeführter Impfungen sichtbar werden.“

Auch das in Deutschland für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) informiert auf seiner Webseite über die Lipide ALC-0315 und ALC-0159:

„Bei den Substanzen ALC-0315 bzw. ALC-0159 im Impfstoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer) sowie SM-102 im Impfstoff Spikevax (Moderna) handelt es sich um pharmazeutische Hilfsstoffe. Pharmazeutische Hilfsstoffe können vom Arzneimittelhersteller selbst hergestellt oder von entsprechenden Unternehmen bezogen werden. Solche Substanzen werden teilweise als Laborchemikalien für unterschiedlichste Anwendungen angeboten. Der Hersteller versieht die Produktinformationen zu diesen Laborchemikalien in der Regel mit einem Warnhinweis, dass sie nicht für die Anwendung am Menschen geeignet sind. Dies kann zu der fälschlichen Annahme führen, dass sie generell nicht bei Menschen angewandt werden können.“

Laut PEI wurden die Substanzen im Rahmen der Arzneimittelzulassung sorgfältig geprüft. Im Zulassungsantrag seien auch Informationen zu Qualität und Herstellung enthalten. Auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller bestätigte diese Information über die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten auf AFP-Anfrage am 14. Dezember.

Zu Impfreaktionen schreibt das PEI außerdem auf seiner Webseite: „Nach derzeitigem Kenntnisstand können sich Allergikerinnen und Allergiker, beziehungsweise Menschen, bei denen schon einmal eine starke allergische Reaktion (Anaphylaxie) aufgetreten ist, mit allen zugelassenen Impfstoffen gegen Covid-19 impfen lassen. Es liegt kein erhöhtes Risiko für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen vor.“

Der von Bahner genannte Hersteller hat nichts mit Impfstoffen zu tun

Beate Bahner behauptet in ihrem Video weiter, die beiden Substanzen würden nicht von einem Pharmaunternehmen hergestellt, sondern von einem Technologieunternehmen. Dieses sei auf die „Vernetzung alltäglicher Geräte” spezialisiert. Als einen der Hersteller der Substanzen nennt Bahner die Firma “Echelon Corporation“.

Eine Suche auf der Webseite des Unternehmens zeigt allerdings, dass die Echelon Industries Corporation nicht in die Herstellung der Impfstoff-Substanzen involviert ist. Das Unternehmen ist vor allem in der Luftfahrtindustrie tätig und hat keine Verbindungen zur Herstellung von Lipiden.

Es gibt aber ein Unternehmen mit ähnlichem Namen: Echelon Biosciences. Die Firma arbeitet laut eigenen Angaben tatsächlich mit Lipiden, hat aber wiederum nichts mit Geräte-Vernetzung zu tun. Diese Firma produziert die Stoffe ALC-0315 und ALC-0159. Auf der Seite der Firma heißt es tatsächlich, die Stoffe seien nur für Forschungszwecke vorgesehen.

Auf AFP-Anfrage erklärte ein Sprecher von „Echelon Biosciences“ am 22. Dezember in einer E-Mail:

„Das von Echelon Biosciences hergestellte und verkaufte Material wird nicht in Pfizers Impfstoff-Produktion verwendet. Es wird nur zu Forschungszwecken an Labore verkauft. Wenn (die Stoffe) als Laborprodukte verkauft werden, wird der Herstellungs- und Versuchsprozess weniger streng gehandhabt, als wenn die Produkte Menschen verabreicht würden. Aus diesem Grund heißt es auf unserer Webseite die Stoffe sind nur Forschungszwecke vorgesehen. Das bedeutet nicht, dass ALC-0315 und ALC-0159 unsicher sind.

Zu den verbreiteten Behauptungen heißt es auf der Echelon-Website, die Firmen, welche ALC-0315 und ALC-0159 als Bestandteile der Impfstoffe herstellen, „folgen einer guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice)“, wie von der US-Gesundheitsbehörde FDA vorgeschrieben. Die Produktionsstätten würden geprüft, um sicherzustellen, dass der Herstellungsprozess sicher für die Anwendung am Menschen sei.

Was es mit den genannten Nebenwirkungen auf sich hat

mRNA-Impfungen können wie alle Medikamente tatsächlich Nebenwirkungen haben. Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt führen seit vielen Jahren Datenbanken, um die Sicherheit von Impfungen zu beobachten. Die international Bekanntesten sind das „Vaccine Adverse Events Reporting System (Vaers)“ in den USA und „EudraVigilance“ in der EU. In diese Datenbanken können Gesundheitspersonal und auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger unerwünschte gesundheitliche Beschwerden nach einer Impfung eintragen.

Einträge in diesen Datenbanken sind allerdings mit Vorsicht zu lesen, denn sie beweisen keinen ursächlichen Zusammenhang zur Impfung. Darauf weisen die Webseiten der Datenbanken hin. Gesundheitliche Beschwerden könnten demnach auch von anderen Medikamenten oder Faktoren ausgelöst worden sein und nichts mit der Impfung zu tun haben. Die gemeldeten Fälle werden auch vor der Veröffentlichung nicht geprüft. AFP erklärte die Einschränkungen bereits ausführlich zur Datenbank „EudraVigilance“ und zum „Vaers“. Kurz: Die Einträge dieser Datenbanken an sich beweisen keine Nebenwirkungen.

Auch die von Beate Bahner erwähnten 1800 vermeintlich nachgewiesenen Todesfälle durch Impfung sind in Wirklichkeit nur Verdachtsfälle. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) berichtet in seinem Sicherheitsbericht vom 26. Oktober 2021 über ihr Vorkommen bis zum 30. September 2021. Auch in diesem Bericht weist das PEI immer wieder darauf hin, dass kausale Zusammenhänge zur Impfung nicht belegt sind. Durchaus beschrieben werden sehr seltene Nebenwirkungen in Form von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen sowie allergische Reaktionen auf die Impfungen.

Die angesprochenen Kinder

Auch die fünf von Bahner angesprochenen verstorbenen Kinder sind in dem Bericht von Oktober aufgeführt. Laut PEI ist ein Mädchen an einer Herzrhythmusstörung und ein weiterer Junge mit „sehr wenigen, insgesamt unzureichenden Informationen zum Verlauf und den Todesumständen“ verstorben. Drei weitere Jungen starben mit schweren Vorerkrankungen.

Ein Zusammenhang zur Impfung sei in keinem der Fälle bewiesen oder beurteilbar gewesen, schrieb das PEI mit Stand vom 26. Oktober. Bahner ignoriert diesen Kontext in ihrem Video.

Die angebliche besondere Gefahr des Biontech-Impfstoffs für Kinder kann Biochemikerin Beck-Sickinger zudem nicht nachvollziehen:

„Der Unterschied zwischen dem Kinderimpfstoff und dem Erwachsenenimpfstoff ist sehr gering, der Hauptunterschied ist die geringere Menge an mRNA. Im Kinderimpfstoff sind es 10 Mikrogramm, die in 200 Mikroliter appliziert werden, beim Impfstoff ab 12 Jahren sind es 30 Mikrogramm mRNA, die in 300 Mikroliter verabreicht werden. Die Lipide sind identisch. Im Kinderimpfstoff ist ein etwas anderer Puffer, der aber vielfach erprobt ist und ihn etwas stabiler macht, sodass der Transport und die Lagerung einfacher wird.“

Mehr Todesfälle durch Corona-Impfungen als durch andere Impfungen?

Bahner erklärt in ihrem Video, dass die Corona-Impfungen schon jetzt mehr Meldungen über Todesfälle produziert hätten als alle anderen Impfungen in Jahrzehnten zuvor. Damit sei die Corona-Impfung gefährlicher. Diese Behauptung ist falsch. AFP hat sie bereits in diesem Faktencheck geprüft.

PEI-Sprecherin Susanne Stöcker erklärte AFP am 1. Dezember 2021: „Allein die Summe der Verdachtsfallmeldungen erlaubt keine Aussagen in Bezug auf mögliche Risiken der Impfstoffe, denn für die Berechnung eines Risikos ist auch die Anzahl der verabreichten Impfdosen notwendig, auf die sich das Risiko bezieht.“

Der Sicherheitsbericht führt für den Biontech-Impfstoff bis zum 30. September 2021 wie beschrieben 12.939 schwerwiegende Verdachtsfälle auf. Bis zum gleichen Zeitpunkt hatten 56,5 Millionen Menschen in Deutschland mindestens eine Impfdosis erhalten. Biontech lieferte laut Bericht mit etwa 76 Prozent den Großteil der Impfdosen. Das PEI schreibt dazu in seinem Sicherheitsbericht: „Die Melderate betrug für alle Impfstoffe zusammen 1,6 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für schwerwiegende Reaktionen 0,2 Meldungen pro 1.000 Impfdosen.“

Screenshot des Impf-Dashboards mit Stand vom 30. September 2021: 28.01.2021 ( Saladin Salem)

Bahner verweist gegenüber AFP auf Rechtsgutachten

AFP hat Bahner am 4. Januar zu ihren aktuellen Behauptungen kontaktiert. Die Juristin verwies in ihrer Antwort auf ein von ihr erstelltes Rechtsgutachten vom 27. Dezember 2021. Darin stellt sie ihre Begründung zur Strafbarkeit der Verabreichung des Comirnaty-Impfstoffs im Detail dar.

Neben Echelon Biosciences nennt sie darin zusätzlich die Unternehmen „Cayman“ und „MedChem“, welche die betreffenden Lipide tatsächlich ebenfalls herstellen und ähnlich dem ersten genannten Hersteller auf ihren Webseiten den Hinweis „nur für Forschungszwecke“ führen (siehe hierhier). Genau wie im Video dienen diese Hinweise als angeblicher Beweis für eine Nichtanwendbarkeit im Menschen. AFP hat allerdings am 17. Januar beide neu genannten Unternehmen kontaktiert. Beide erklärten, dass der Hinweis nur für die von ihnen gelieferten Forschungspräparate gelte, aber keine grundsätzliche Anwendung der Lipide im Menschen ausschließe.

Fehlen die Daten zum Comirnaty-Impfstoff?

Nach Ansicht Bahners ist die Verwendung der ALC-Bestandteile des Impfstoffs außerdem strafbar, weil die EMA für diese „neuen Hilfsstoffe“ Biontech zu besonderen Auflagen verpflichtet habe, welche angeblich nicht erfüllt worden seien. Auch erforderliche Daten zu den Stoffen würden fehlen.

Tatsächlich erteilte die EMA gegenüber Biontech/Pfizer spezifische Auflagen, darunter zur Herstellung und Kontrolle des Impfstoffs, wie aus diesem im Februar 2021 veröffentlichten Bericht der Behörde hervorgeht.

Betreffend der Auflagen und Dokumentation der Europäischen Arzneimittel-Agentur befragte AFP die EMA direkt. Eine Sprecherin der Behörde erklärte am 21. Januar per E-Mail, es sei richtig, dass bei der Verwendung neuartiger Hilfsstoffe zusätzliche Informationen vom Hersteller verlangt werden. Diese Informationen seien aber vom Hersteller bereitgestellt worden. Studien an Tieren hätten gezeigt, dass die verwendeten Lipide unbedenklich seien (mehr dazu hier):

„Diese Studien stimmen zuversichtlich, dass bei der Verabreichung von Impfstoffen an Menschen keine Sicherheitsprobleme aufgrund der Anhäufung von Lipid-Nanopartikeln und mRNA in anderen Geweben zu erwarten sind.“

Betreffend der durch die EMA erteilten Auflagen erklärte die Sprecherin, die Interpretation der EMA-Unterlagen durch Bahner sei falsch. Alle erforderlichen Daten seien vom Hersteller ordnungsgemäß eingereicht worden. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA habe diese untersucht und positiv bewertet. Die von Bahner genannten Auflagen seien demnach erfüllt (siehe auch hier).

Auf AFP-Anfrage bestätigte dies zudem der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) am 25. Januar per E-Mail. Die Mitglieder des vfa vertreten einen Großteil des deutschen Arzneimittelmarktes und arbeiten am „therapeutischen Fortschritt bei Arzneimitteln„.

Als weiteren Beweis für angeblich fehlende Daten zieht Bahner zudem ein Sicherheitsdatenblatt des Impfstoffherstellers Pfizer heran. Darin heißt es zu allen Inhaltsstoffen der Impfung: „keine Daten verfügbar“. Dieser Bericht dient allerdings zur Begutachtung des sicheren Einsatzes des Impfstoffs am Arbeitsplatz. Nur im Bezug darauf verweist er auf die Datenlage. Auch für Bestandteile wie Wasser heißt es in dem Dokument, es seien keine Daten verfügbar. Pfizer bestätigte am 5. Januar gegenüber AFP, dass es sich bei dem Dokument um kein medizinisches Sicherheitsdatenblatt handele.

Bahners Behauptungen zur Studienlage kein Beweis für Gefahr durch Impfstoffe

Bahner verweist für ihre Argumentation zudem auf die Produktinformationen zum Biontech-Impfstoff der EMA. Darin heißt es, die toxikologischen Eigenschaften des Impfstoffs seien an Ratten getestet worden, welche Entzündungsreaktionen zeigten. Das beweist laut Bahner die Gefährlichkeit für den Menschen. Die Anwältin verschweigt jedoch, dass die Studie sogar die Reaktionen bei den Ratten als „umkehrbar“ einstufte.

Außerdem erklärte die EMA-Sprecherin: „Die Laboruntersuchungen ergaben keine besondere Gefahr für den Menschen auf der Grundlage konventioneller Studien zur Toxizität und Reproduktions-/Entwicklungstoxizität. Wären in dieser Phase Probleme festgestellt worden, hätte die EMA keine bedingte Zulassung für Comirnaty oder ein anderes zu prüfendes Arzneimittel empfohlen.“

Bahner bezieht sich außerdem auf eine weitere Studie der Jefferson University in Philadelphia, welche belegen soll, wie gefährlich die ALC-Bestandteile der Impfung seien. Demnach habe die Studie in Tierversuchen eine hohe Sterblichkeit gezeigt, was einen Beweis für die Gefahr der Impfstoffe beim Menschen darstellen soll.

Dass die Ergebnisse der Studie eine Gefahr darlegen würden, dementierte Matthias Schnell, Institutsleiter in der Abteilung für Mikrobiologie und Immunologie der für die Studie zuständigen Universität, am 5. Januar gegenüber AFP. Es gebe zwar Nebenwirkungen der Impfung bei Menschen, aber sie sei für kurze Zeit effizient und habe bei der Bekämpfung der Pandemie geholfen.

Mögliche Nebenwirkungen der Impfstoffe sind ausreichend untersucht

Weiterhin kritisiert Bahner basierend auf den Produktinformationen zu Comirnaty, dass Studien zur Genotoxizität, also einer möglichen Schädigung des Erbguts und Krebserregung. durch den Impfstoff fehlen würden. Auch Bewertungen der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und zu Wirksamkeit und Sicherheit bei immungeschwächten Menschen gebe es nicht. Tatsächlich hat AFP in der Vergangenheit schon häufiger Behauptungen zu den angeblichen Nebenwirkungen der mRNA-Impfstoffe widerlegt (siehe hierhierhier). Zudem ignoriert Bahner die Tatsache, dass es in den Produktinformationen zum Impfstoff heißt, es sei nicht zu erwarten, dass „die Bestandteile des Impfstoffs (Lipide und mRNA) ein genotoxisches Potential haben“.

Die Sprecherin der EMA erklärte hierzu, es gebe auf Basis der Sicherheitsdaten der Zulassungsinhaber und der Verdachtsfallmeldungen keine Hinweise darauf, „dass Covid-19-Impfstoffe Autoimmunkrankheiten verursachen oder verschlimmern können“.

Auch laut dem Verband Deutscher Arzneimittelhersteller ist die Giftigkeit des Comirnaty-Impfstoffs inklusive seiner Hilfsstoffe bereits ausreichend getestet worden:

„Studien zur Toxizität wurden nach den Informationen des Risikomanagement-Plans durchgeführt. Da die komplette Formulierung in den Studien zur Toxizität eingesetzt wurde, wurden dementsprechend auch die Hilfsstoffe mitgetestet.“

Aus dem sogenannten Risikomanagementkonzept der EMA zum Comirnaty-Impfstoff geht demnach hervor, dass dieser unter anderem auch auf seine Toxizität hin untersucht wurde. Weiterhin heißt es darin: „Studien zur Sicherheitspharmakologie, Genotoxizität und Karzinogenität wurden gemäß den WHO-Impfstoffrichtlinien von 2005 nicht durchgeführt.“ Dies seien zur Entwicklung und Lizensierung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten nicht generell notwendig.

Für einen Zusammenhang zwischen den Corona-Impfstoffen und Krebs gibt es laut Expertinnen und Experten, aktuellen Studien und internationalen Behörden und Fachverbänden keine Hinweise. Dies hat AFP bereits in diesem Faktencheck von November 2021 genauer untersucht.

Zu angeblichen Wechselwirkungen der Impfstoffe informiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrer Webseite mit Stand vom 30. Dezember 2021: „Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und einem der zugelassenen Impfstoffe sind nach jetzigem Kenntnisstand nicht bekannt. Setzen Sie Ihre Medikamente vor der COVID-19-Impfung nicht ab. Das gilt auch für Blutverdünner. Die Einnahme der Antibaby-Pille zum Zeitpunkt der Impfung ist unbedenklich.“ Bei Fragen sei ärztlicher Rat einzuholen.

Betreffend der Corona-Impfung für Menschen mit Immunschwäche erklärt das RKI mit Stand vom 21. Dezember 2021, es bestünden bei keinem der bislang zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 Sicherheitsbedenken. Die Wirksamkeit könne allerdings bei Menschen mit Immundefizienz geringer ausfallen. Das Ausmaß der verminderten Immunantwort hänge von der „Grunderkrankung, der eingesetzten Medikation und nicht zuletzt dem Alter der zu impfenden Person“ ab.

Das Universitätsklinikum Freiburg erklärte ebenfalls am 9. Dezember 2021 auf seiner Webseite: „Die Impfung ist auch bei immundefizienten Patienten sicher. Die Immunogenität (Anm. d. Red.: Fähigkeit zur Auslösung einer Immunantwort) ist variabel und abhängig von der vorliegenden genetischen Ursache und Therapien.“

Versuch am Menschen

Bahner behauptet in ihrem Gutachten, die Impfungen würden sich als laufende klinische Studie darstellen, deren abschließender Bericht erst im Dezember 2023 vorzulegen sei. Als angeblichen Beweis nennt sie einen Auszug aus einem EMA-Bericht zur Zulassungserneuerung:

„Um die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Comirnaty zu bestätigen, sollte der Zulassungsinhaber den abschließenden klinischen Studienbericht für die randomisierte, placebokontrollierte, beobachtete Blindstudie C4591001 vorlegen. Fälligkeitsdatum: Dezember 2023.“

Die EMA-Sprecherin erklärte allerdings hierzu, diese Interpretation zeuge von einem Unverständnis der Zulassungs- und Entwicklungsverfahren von Impfstoffen in der EU. Der Comirnaty-Impfstoff sei auf Basis eines großen klinischen Versuchs mit etwa 46.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zugelassen worden.

„Der Grund, warum diese Studie immer noch als fortlaufend betrachtet wird, liegt darin, dass die im Rahmen der klinischen Studie geimpften Personen noch zwei Jahre lang beobachtet werden, um weitere Informationen über die Dauer des Schutzes zu sammeln. In die laufende Phase 3 wurden, wie oben beschrieben, auch zusätzliche Bevölkerungsgruppen aufgenommen.“

Medizinrechtler sehen keine belegte Strafbarkeit durch das Gutachten

Das von Bahner erstellte Gutachten war im Januar Gegenstand einer Stellungnahme von Prof. Dr. Andreas Pitz, Dozent für Medizin- und Gesundheitsrecht an der Universität Mannheim. Darin kommt er zu dem Schluss, dass eine Verabreichung der Corona-Impfungen nicht strafbar sein könne.

In seiner Stellungnahme untersucht Pitz die Aussagen Bahners basierend auf dem deutschen Arzneimittelrecht. Diese erfüllten nicht den wissenschaftlichen Standard eines juristischen Gutachtens. An mehreren Stellen des Dokuments werde durch das Auslassen wesentlicher Informationen ein Sachverhalt suggeriert, der so nicht existiere. So zum Beispiel bei gemeldeten Verdachtsfällen von Todesfällen, bei denen kein ursächlicher Zusammenhang zur Impfung besteht.

Auch Bahners Begründung zur Strafbarkeit der Impfung läuft laut Pitz ins Leere. Es handele sich weder um ein „bedenkliches Arzneimittel“, wie Bahner behauptet, noch werde bei der Qualität des Impfstoffs „Täuschung“ betrieben.

Bahner habe etwa unter anderem auf bestimmte Teile einer EU-Richtlinie verwiesen, welche bereits seit 2011 nicht mehr existierten. Zum Charakter der bedingten Zulassung erläutert Pitz:

„Soweit die Autorin aus der Nichtvorlage bestimmter Unterlagen die Schlussfolgerung zieht, dass ‚daraus eine erhebliche Minderung der Qualität‘ folge, zeigt dies nur, dass sich die Autorin nicht hinreichend mit dem Wesen einer bedingten Arzneimittelzulassung befasst hat. Es ist der bedingten Zulassung gerade immanent, dass nicht alle für eine ‘Vollzulassung’ erforderlichen Unterlagen vorzulegen sind. Dies deshalb, weil die Chancen einer schnellen Zulassung die Risiken der Nachreichung bestimmter Unterlagen überwiegen.“

Pitz schlussfolgert schließlich: „Zusammenfassend macht sich niemand strafbar, der sich an einer Impfung in welcher Form auch immer beteiligt.“

Zur Bestätigung der Stellungnahme des Medizinrechtlers kontaktierte AFP zudem den Deutschen Anwaltverein (DAV). Dieser verwies auf Dr. Rudolf Ratzel, Fachanwalt für Medizinrecht und ehemaliges Mitglied im Ausschuss der AG Medizinrecht des DAV. Auf AFP-Anfrage bestätigte Ratzel am 19. Januar per Mail, er stimme mit den Erklärungen von Professor Pitz überein. Niemand mache sich durch die Verabreichung der Impfstoffe von Biontech oder auch Moderna strafbar.

Fazit

Die Bestandteile ALC-0315 und ALC-0159 sind zur Verwendung im Comirnaty-Impfstoff zugelassen und auf ihre Sicherheit hin überprüft. Es handelt sich um kein bedenkliches Arzneimittel. Die Verabreichung des Impfstoffs ist nicht strafbar. Bei den von Bahner genannten Berichten über Nebenwirkungen handelt es sich um Meldungen ohne belegten ursächlichen Zusammenhang.

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