Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, schließt nicht aus, dass Russland im Zuge der Ukraine-Krise Erdgas als Waffe einsetzen und Lieferungen nach Europa verringern oder einstellen könnte. „Angesichts der gegenwärtig sehr angespannten Situation und einer möglichen Eskalation kann ich das natürlich nicht ausschließen. Das kann passieren“, sagte der EU-Handelskommissar den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Dienstagsausgaben).
Noch halte sich Russland an die Verpflichtungen aus den langfristig geschlossenen Verträgen. „Aber es kommt auch kein Kubikmeter mehr bei uns an als in den Verträgen festgeschrieben“, sagte Dombrovskis. „Und Russland macht nichts, um die derzeitige komplizierte Energiesituation in der EU zu entschärfen. Die Speicher leeren sich.“ Die Kommission prüft laut Dombrovskis, ob Russland absichtlich die Energiemärkte manipuliert.
Indessen ist die Situation in der Ostukraine eskaliert. Der russische Präsident Wladimir Putin erkannte am Montag die Unabhängigkeit der pro-russischen, sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk an. Anschließend kündigte Putin die Entsendung russischer Truppen dorthin an. Die EU hat deshalb Sanktionen angekündigt.
Zu den Sanktionen, über die die EU-Botschafter am Dienstag sprechen wollen, gehören nach Angaben eines Diplomaten, der anonym bleiben wollte, keine direkten Maßnahmen gegen Putin. Der Elysée-Palast in Paris erklärte am Abend: „Wir werden auf eine Reihe von Aktivitäten abzielen, die im Donbass angesiedelt und direkt mit russischen Interessen verbunden sind.“ Auch die USA und Großbritannien haben Sanktionen angekündigt. Deutschland, Frankreich und die USA vereinbarten, sich dabei abzustimmen.
Sanktionen gegen Russland werden nach Dombrovskis Ansicht den internationalen Handel nicht substanziell stören. „Ich glaube nicht, dass es da größere Schwierigkeiten geben wird. Wir importieren aus Russland hauptsächlich fossile Energie. Das globale Handelssystem ist ebenso wenig in Gefahr wie die internationalen Lieferketten“, sagte der EU-Handelskommissar.
Gänzlich folgenlos werde das diskutierte Sanktionspaket allerdings auch für die europäische Wirtschaft nicht bleiben, schränkte Dombrovskis ein. „Wenn wir über dieses Sanktionspaket diskutieren, dann ist auch klar, dass es gewisse Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft haben wird. Solche Sanktionen bleiben niemals folgenlos“, sagte Dombrovskis.
Aber es stelle sich die Frage der Alternative. „Wir sind mit einer möglichen militärischen Aggression in Europa konfrontiert, die die gesamte europäische Sicherheitsordnung gefährdet“, sagte der EU-Kommissar. „Da sollten wir auch akzeptieren, dass auf uns einige Kosten zukommen.“
Dombrovskis sieht in der Ukraine-Krise indessen keine große Gefahr für die Erholung der europäischen Wirtschaft. „Derzeit sehen wir keine größeren Auswirkungen auf die Konjunktur. Wir erwarten, dass die EU-Wirtschaft in diesem Jahr um vier Prozent wachsen wird“, sagte Dombrovskis dem RND. „Es gibt Risiken, aber die sehen wir eher in der Pandemie, den hohen Energiepreisen und der Inflation als in der russischen Ukraine-Politik“, sagte der Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter.