Frankreich will mit erneuerbarer Energie Wartezeit auf Atomreaktoren überbrücken

Symbolbild: Atomkraft
Symbolbild: Atomkraft

Wenn in Deutschland von Brückentechnologie in der Energieversorgung die Rede ist, dann geht es meist um Gas, das genutzt werden soll, bis genügend erneuerbare Energien vorhanden sind. In Frankreich hingegen gelten erneuerbare Energien selbst als Überbrückung: Sie sollen genutzt werden, während das Land auf den Bau neuer Atomkraftwerke wartet. Sechs neue Reaktoren sollen nach den Plänen des staatlich dominierten Stromkonzerns EDF entstehen, obwohl der Prototyp in Flamanville noch immer nicht am Netz ist.

Es wird erwartet, dass Präsident Emmanuel Macron bei seinem Besuch in Belfort am Donnerstag nicht nur den Bau neuer Reaktoren ankündigt, sondern auch den Rückkauf der Turbinen-Produktion. Als Macron noch Wirtschaftsminister war, hatte er den Verkauf der Energiesparte von Alstom an den US-Riesen GE genehmigt. Die Opposition hatte vergeblich versucht, dies mit dem Hinweis auf die Sicherheit der Energie-Produktion zu verhindern.

Jetzt führt Macron genau dieses Argument für den Rückkauf ins Feld: Die französische Atomindustrie soll gestärkt werden, um eine unabhängige Energieproduktion zu gewährleisten.

Frankreich setzt auf Atomenergie, weil sie weitgehend emissionsfrei ist und dem Land eine gute CO2-Bilanz verschafft. Allerdings bringt der alternde Kraftwerkspark viele Probleme mit sich. Die bestehenden Reaktoren werden immer anfälliger, und der Bau neuer Reaktoren ist sehr teuer und langwierig. So sollen die sechs angekündigten Reaktoren des Typs EPR etwa 50 Milliarden Euro kosten. Für den Bau eines Reaktors werden etwa 15 Jahre veranschlagt.

Die Finanzierung sieht Frankreich etwas entspannter, seit die EU-Kommission Atomenergie auf französischen Druck hin als nachhaltig eingestuft hat. „Ein mieser Coup“, hieß es in diplomatischen Kreisen mit Blick auf die sogenannte Taxonomie, eine Art Leitfaden für Investoren. Frankreich habe das Machtvakuum zum Ende der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgenutzt, um in Brüssel Lobbyarbeit zu betreiben.

„Die Taxonomie ist für uns extrem wichtig“, heißt es unverhohlen aus dem Pariser Präsidentenpalast. „Das wird die Finanzierung erleichtern.“

Unterdessen bereiten die bestehenden Kraftwerke immer mehr Probleme. Derzeit sind etwa ein Dutzend Reaktoren heruntergefahren. In einigen Fällen geht es um Wartungsarbeiten. Aber fünf Reaktoren sollen zudem auf Korrosionsschäden untersucht werden.

Dasselbe Problem wird nun auch in anderen Reaktoren vermutet. EDF hat deswegen Untersuchungen in drei weiteren Reaktoren angekündigt. Die Regierung sieht darin keinen Grund zur Beunruhigung. „Das zeigt, dass EDF sehr transparent arbeitet“, heißt es im Élysée.

Es hat allerdings zur Folge, dass die Produktion immer weiter reduziert wird. Derzeit liegt die Kapazität bei gut 61 Gigawatt. „Das entspricht 55 bis 60 Prozent der Kapazität, während bei normaler Funktion 80 Prozent erreicht werden sollte“, sagt Yves Marignac von der Umwelt-Organisation négaWatt. „Ein so niedriges Niveau haben wir noch nie gehabt“, fügte er hinzu.

Tatsächlich musste EDF seine Prognose der Jahresproduktion von 330 bis 360 auf 295 bis 315 Terawattstunden nach unten korrigieren.

Zudem hat Frankreich den Ausbau der erneuerbaren Energien weitgehend verschlafen. Im Jahr 2020 lag Frankreich als einziges EU-Land mit 19 Prozent erneuerbarer Energie hinter seinem selbst gesteckten Ziel von 23 Prozent zurück. Obwohl Frankreich kilometerlange Küsten am Ärmelkanal, am Atlantik und am Mittelmeer hat, gibt es bislang keinen einzigen funktionierenden Offshore-Windpark. Gegen Windräder auf dem Land gibt es starken gesellschaftlichen Widerstand.

Auch das Problem des Atommülls ist nicht gelöst. Im lothringischen Dorf Bure gibt es 500 Meter unter der Erde ein „Labor“, wo die Lagerung von Atommüll vorbereitet wird. „Das ist das Referenzmodell, das Projekt ist auf gutem Weg“, betont der Élysée. Eine Baugenehmigung ist allerdings noch nicht vorhanden, und die Abklingbecken in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sollen bereits 2030 voll sein.

Macron lässt sich davon jedoch nicht beirren: Atomkraft gilt jenseits des Rheins nicht nur als klimafreundlich, sondern auch als Ausweis nationaler Größe.

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