Im Streit über die Impfpflicht in Gesundheit und Pflege verhärten sich die Fronten. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese warf Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wegen der von ihm angekündigten Aussetzung der Regelung am Mittwoch im Bayerischen Rundfunk „Parteipolitik auf dem Rücken der Schwächsten“ vor. Demgegenüber sprach sich auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) dafür aus, das Gesetz vorerst nicht anzuwenden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hofft auf ein Einlenken Bayerns.
Wiese bezeichnete es in der „Radiowelt“ des Senders Bayern 2 als „starkes Stück“, dass Söder „den Pflegekräften einfach in den Rücken fällt, die sich haben impfen lassen“. Dies sei die übergroße Mehrheit. Er betonte zugleich: „Für die praktische Umsetzung vor Ort müssen noch Detailregelungen getroffen werden.“ Jenen, die das Gesetz in den Kommunen umsetzen müssen, solle Rechtssicherheit gegeben werden.
Hans warnte in den ARD-„Tagesthemen“ am Dienstagabend vor einem „unverantwortlichen Verschiebebahnhof der Pflegekräfte, die dann in anderen Ländern möglicherweise arbeiten“. Damit sei den zu schützenden Personen nicht geholfen. Er verwies darauf, dass sich seit der Zustimmung seiner Partei zu dem Gesetz im Dezember einiges verändert habe. Die Omikron-Variante betreffe nun auch dreifach geimpfte Menschen. Dadurch sei die „Fremdschutzwirkung nicht mehr so gegeben“, wie es bei der Delta-Variante gewesen sei.
„Wir können das Land Bayern kaum zwingen, sich an die Absprachen zu halten“, sagte Lauterbach am Dienstagabend im ZDF. Er hoffe, dass dies auch nicht notwendig werde und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch einlenke. Söders Schritt gebe „das vollkommen falsche Signal, dass die Proteste der Impfgegner und Querdenker bedeutsamer sind als der Schutz der älteren Menschen“, sagte Lauterbach im AFP-Gespräch. Der Rückzieher Söders habe ihn „bestürzt“.
„Ein Gesetz darf nicht einfach ignoriert werden“, sagte auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, zu AFP. „Das schafft Willkür vor Ort, zerstört das Vertrauen in staatliche Regelungen und beschädigt die Verfassung.“ Brysch verwies zugleich auf die Probleme, die entstehen könnten, „wenn zehntausende Pflegekräften ausfallen und die Gesundheitsämter bei der Umsetzung scheitern“.
Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt bekannte sich zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. „Genauso richtig ist aber auch, dass wir uns keine größere Personalabwanderung aus der Pflege leisten können“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. „Auf jeden Fall wäre es falsch, Impfunwilligen sofort mit Kündigung zu drohen.“ Die ungeimpfte Mitarbeiter sollten in einer Übergangsphase dazu bewegt werden, sich doch noch freiwillig impfen zu lassen.
Die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Christel Bienstein, kritisierte auf Radio Eins des RBB ebenfalls Söders Alleingang, betonte aber zugleich: „Wir haben sowieso die ganze Zeit schon viel zu wenig Pflegende und das ist über Jahre von der Politik toleriert worden.“ Es hat sich keiner dafür eingesetzt, dass sich die Situation verbessert. Deswegen könne aber nicht einfach ein Bundesgesetz gebrochen werden, „sondern man muss Maßnahmen treffen“.
Das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht sieht vor, dass Beschäftigte von Einrichtungen wie Kliniken, Arztpraxen sowie Alten- und Pflegeheimen bis Mitte März eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus nachweisen müssen.