Schon heute spürbare Auswirkungen des Klimawandels wie Überschwemmungen, Hitzewellen, Artensterben und Ernterückgänge drohen laut dem neuen Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC bei unzureichenden Gegenmaßnahmen die Erde unbewohnbar zu machen. Bei jeder weiteren Verzögerung werde sich „das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“, heißt es in dem am Montag in Berlin veröffentlichten Bericht. Deutsche Umweltverbände sprachen von einem Handlungsauftrag an die Bundesregierung.
„Die angehäuften wissenschaftlichen Belege sind eindeutig: Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Wohlergehen des Menschen und die Gesundheit des Planeten“, heißt es in einer Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger des nun vorgestellten zweiten Teils des sechsten IPCC-Sachstandsberichts.
Erarbeitet wurde der fast 4000 Seiten lange Berichtsteil von der IPCC-Arbeitsgruppe II. Deren Ko-Vorsitzender, der deutsche Klimaforscher Hans-Otto Pörtner, wies auf die riesige Diskrepanz zwischen dem Wissen über den Klimawandel und den tatsächlichen Maßnahmen hin. „Die große Lücke in der Umsetzung gilt es zu schließen“, mahnte Pörtner. „Je länger wir Klimaschutz und Anpassung verzögern, desto stärker schließt sich das uns noch verbleibende Zeitfenster“, warnte er weiter.
In Modellen zum Klimaschutz sei bislang von einem deutlichen Abfall der Treibhausgasemissionen ab 2020 ausgegangen worden, derzeit aber „sehen wir das Gegenteil“, kritisierte Pörtner. Dieses Ignorieren der Klimakrise gleiche einem „ständigen Überfahren von roten Ampeln“. UN-Generalsekretär António Guterres warf den weltgrößten Treibhausgas-Emittenten vor, sie machten sich „der Brandstiftung an unserem einzigen Zuhause schuldig“.
Laut IPCC-Bericht sind bereits 3,3 bis 3,6 Milliarden der knapp acht Millionen Menschen weltweit durch den Klimawandel „hochgradig gefährdet“. Dieses Risiko werde durch sozial-ökonomische Ungleichheit sowie die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meeren weiter erhöht. Der IPCC rechnet damit, dass bis 2050 die Zahl der Menschen, die in für Stürme und Überschwemmungen besonders anfälligen Küstengebieten leben, auf mehr als eine Milliarde steigt.
Für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten geht es angesichts des Klimawandels bereits ums Überleben. Schon bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad besteht laut dem Bericht für bis zu 14 Prozent der Arten an Land ein „sehr hohes“ Risiko auszusterben, bei drei Grad sogar für 29 Prozent. Da Artenvielfalt und Ökosysteme im Kampf gegen die Klimakrise eine wichtige Rolle spielen, sprach sich der IPCC dafür aus, 30 bis 50 Prozent der Land- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen.
Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann (Grüne), wertete den Bericht am Montag in Berlin als „ein flammendes Dokument über eine brennende Welt“. Weiter verlangte sie: „Wir dürfen keine Zeit verlieren, wir müssen sofort handeln.“ Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sicherte zu, die Bundesregierung werde „alles dafür tun, eine lebenswerte Umwelt zu erhalten“.
Die Klima-Allianz Deutschland (DKK) forderte unter anderem einen Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Gas bis 2035 sowie ein Klimaanpassungsgesetz. Die Organisation Germanwatch erklärte, die Flutkatastrophe an der Ahr habe verdeutlicht, dass Deutschland und die Welt „ein umfassendes Schutzsystem vor der zerstörerischen Wucht der Klimakrise“ bräuchten.
An dem nun vorgelegten IPCC-Bericht hat ein Kernteam aus rund 270 Wissenschaftlern aus aller Welt gearbeitet, darunter 15 aus Deutschland. Überschattet wurden die abschließenden Beratungen von Russlands Einmarsch in die Ukraine. Die Leiterin der ukrainischen IPCC-Delegation, Svitlana Krakowksa, hob hervor, der Klimawandel und der Krieg hätten „dieselben Wurzeln – fossile Brennstoffe und unsere Abhängigkeit davon“.