Mit großen Vorschusslorbeeren und noch größeren Erwartungen hatte Kamala Harris ihr Amt als US-Vizepräsidentin angetreten. Als erste Frau und erste Schwarze war die Einwanderertochter auf diesen Spitzenposten gewählt worden. Beobachter sagten voraus, dass sie eine starke und einflussreiche Stellvertreterin von Präsident Joe Biden werden würde – und eines Tages womöglich sogar seine Nachfolgerin. Doch nach mehr als einem Jahr im Amt hat die 57-Jährige, die diese Woche an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnimmt, immer noch Schwierigkeiten, ihre Rolle im Weißen Haus zu finden.
Die Reise nach München und der Auftritt auf internationalem Parkett dürfte für Harris eine willkommene Abwechslung zum harten Alltag in Washington sein. Denn in ihrer Heimat hat die frühere Senatorin einen schweren Stand: Politisch ist sie nur wenig sichtbar, ihre Zustimmungswerte sind – parallel zu jenen Bidens – in den Keller gerutscht. Im Umfrageschnitt heißen weniger als 40 Prozent der Wähler ihre Arbeit gut.
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. In der Geschichte hatten viele US-Vizepräsidenten Probleme, sich in ihrem Amt zurechtzufinden, das klar im Schatten des Präsidentenamtes steht.
Biden hat Harris zudem mit einigen undankbaren Aufgaben betraut, bei denen es nur wenig zu punkten gibt. Die in Kalifornien geborene Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien soll sich insbesondere mit der Migrationskrise an der Südgrenze der USA und der Bekämpfung von Fluchtursachen in Zentralamerika befassen – ein in den USA politisch extrem aufgeheiztes Thema, das von den oppositionellen Republikanern gerne für Wahlkampfzwecke genutzt wird.
Bei einer Reise nach Guatemala und Mexiko im vergangenen Sommer zog Harris sich die Kritik sowohl des linken Demokraten-Flügels als auch der Republikaner zu. Parteifreunde warfen Harris wegen ihres an Migrationswillige gerichteten Satzes „Kommen Sie nicht“ in die USA eine zu harte Haltung vor – die Konservativen beschuldigten die Vizepräsidentin dagegen einer zu großen Nachgiebigkeit.
Auch das Thema Wahlrecht, das Biden Harris übertragen hat, ist voller Fallstricke. Die Demokraten wollen Wahlrechtsreformen in konservativ regierten Bundesstaaten entgegentreten, die Kritikern zufolge Minderheiten wie Afroamerikanern den Gang zur Wahlurne erschweren sollen. Doch der Versuch, zum Schutz des Wahlrechts zwei Bundesgesetze durch den Kongress zu bekommen, scheiterte im Januar am Widerstand von zwei demokratischen Senatoren. „Wir werden weiterkämpfen“, gelobte Harris daraufhin. Doch die Erfolgsaussichten sind höchst ungewiss.
Neben der Schwierigkeit der ihr übertragenen Aufgaben scheint Harris sich manchmal auch selbst im Weg zu stehen. Bei Interviews erscheint sie nicht immer souverän, bei öffentlichen Auftritten wirkt sie manchmal distanziert.
Immer wieder gibt es auch Medienberichte über Spannungen im Mitarbeiterteam der Vizepräsidentin – und über Konflikte mit dem Biden-Team. Ende vergangenen Jahres verließen sowohl Harris‘ Sprecherin Symone Sanders als auch ihre Kommunikationsdirektorin Ashley Etienne ihre Posten.
Biden hat seiner Stellvertreterin kürzlich demonstrativ den Rücken gestärkt. Bei einer Pressekonferenz zu seinem ersten Jahr im Amt sagte der 79-Jährige im Januar, sollte er bei der Präsidentschaftswahl 2024 erneut antreten, werde er wieder mit Harris an seiner Seite ins Rennen ziehen. Das Lob fiel aber nicht gerade überschwänglich aus: „Sie macht einen guten Job.“
Die mit dem Anwalt Doug Emhoff verheiratete Harris hat wohlgemerkt noch einige Jahre Zeit, sich bessere Noten zu erarbeiten. Die Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz ist schon einmal eine Chance, inmitten der Ukraine-Krise ihr außenpolitisches Profil zu schärfen.