Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist Mitte Februar nach Moskau – aber Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist schon vor ihm dort. Nach intensiver Telefon-Diplomatie wird Macron bereits Anfang kommender Woche mit Russlands Präsident Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammentreffen. Dass Macron sich so intensiv in der Ukraine-Krise engagiert, hat viele Gründe. In erster Linie sieht er darin einen Testfall für die europäische Souveränität, die er während der französischen EU-Ratspräsidentschaft vorantreiben will.
Zum anderen stellt sich Macron gern in eine Reihe mit den einflussreichsten Staatenlenkern der Welt. Mit Blick auf Russland scheint er eine von vielen Beobachtern konstatierte Leerstelle besetzen zu wollen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der internationalen Politik hinterlassen hat – und die Scholz in Macrons Augen wohl nicht ausfüllt.
„Es gibt keine Sicherheitsordnung für Europa, wenn die Europäer nicht in der Lage sind, sich zu verteidigen“, ist Macron überzeugt. Europa müsse „eine gemeinsame Lösung mit allen Nachbarn finden, inklusive Russland“. Der französische Präsident hat immer schon die Notwendigkeit des „fordernden Dialogs“ mit Russland betont.
Seine Strategie besteht darin, immer wieder das Gespräch zu suchen, dabei aber entschlossen die europäischen Interessen zu vertreten. Seit Dezember hat er bereits fünf Mal mit Putin und drei Mal mit Selenskyj telefoniert, zuletzt am Donnerstagabend.
Bislang ist dabei wenig Konkretes herausgekommen, aber immerhin hat Macron gemeinsam mit den Deutschen eine Verhandlungsgruppe wiederbelebt, das sogenannte Normandie-Format. Dabei sitzen Russen und Ukrainer an einem Tisch, unter Vermittlung der Deutschen und Franzosen. Vergangene Woche hatte es ein erstes Treffen auf hochrangiger Beraterebene gegeben, das erste Mal seit 2019. Demnächst ist ein Folgetreffen in Berlin geplant.
Schon seit Amtsantritt hat Macron Putin immer wieder umgarnt: Kurz nach seiner Wahl hatte er ihn auf das Prunkschloss in Versailles eingeladen, später zu einem Treffen in der Sommerresidenz Fort de Bregançon mit Ausblick auf die Côte d’Azur und mit einem französischen Kriegsschiff am Horizont – eine Power-Show, die ihre Wirkung wohl nicht verfehlt hat.
„Wir dürfen uns gegenüber Präsident Putin niemals schwach zeigen“, hatte Macron damals gesagt. „Wenn jemand schwach ist, nutzt er das aus.“ Das bedeutet immer auch, Konfliktthemen anzusprechen – seien es russische Hackerangriffe während des französischen Wahlkampfs, Putins Beziehungen zum syrischen Machthaber Baschar al-Assad oder, derzeit neben der Ukraine-Krise aktuell, der Einsatz russischer Söldner in Mali.
Aber auch Putin weiß zu schmeicheln. Mit niemandem könne er so tiefgründige Gespräche führen wie mit Macron, habe er ihm gesagt, teilte der Elysée stolz mit. Putin hatte zuletzt wenig Interesse an europäischer Vermittlung gezeigt, sondern eher auf direkte Gespräche mit US-Präsident Joe Biden gesetzt.
Das wollten sich die Europäer nicht gefallen lassen, auch deswegen bekommt Macron viel Unterstützung in der EU für seine Initiativen. „Europa muss sein Schicksal selber in die Hand nehmen“, betont Macron immer wieder. Dabei ist nicht immer ganz klar, in welcher Rolle Macron sich eigentlich engagiert.
Der französische Präsident hatte schon einmal viel diplomatischen Eifer an den Tag gelegt, als er 2019 versucht hatte, US-Präsident Donald Trump und den iranischen Präsidenten Hassan Rohani zu einem Treffen zu bewegen – bei dem er dann dabei gewesen wäre. Dazu ist es jedoch nie gekommen.
Auch ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj mit Macron und Scholz ist derzeit noch nicht absehbar. Aber die Bilder, die Macron mit den beiden Staatschefs zeigen, werden dennoch ihre Wirkung haben. Schließlich macht Macron nicht nur Europapolitik, sondern befindet sich längst mitten im Wahlkampf für seine zweite Amtszeit. Da käme ihm ein außenpolitischer Erfolg, der ihn weit von seinen Konkurrenten abhebt, äußerst gelegen.