Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eine sicherheitspolitische Neuaufstellung Deutschlands angekündigt. Der „völkerrechtswidrige Krieg“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin „konfrontiert uns mit einer neuen sicherheitspolitischen Wirklichkeit“, sagte Baerbock am Freitag in einer Grundsatzrede zum Auftakt des Prozesses zur Erarbeitung einer neuen deutschen Sicherheitsstrategie in Berlin. Ins Zentrum rückte sie die Stärkung der Nato-Bündnisfähigkeit.
Der russische Krieg in der Ukraine sei eine „geopolitische Zäsur mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die europäische Sicherheit“, betonte Baerbock. Bei der Erarbeitung der nationalen Sicherheitsstrategie müsse Deutschland deshalb „Sicherheit nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft heraus denken“.
Die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie ist im Koalitionsvertrag der „Ampel“ verankert. Es handelt sich um das erste Projekt dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik.
Als die drei wesentlichen Elemente eines neuen Sicherheitsbegriffs bezeichnete Baerbock die „Unverletzlichkeit des Lebens“ – also den Schutz vor Krieg und Gewalt, die „Sicherheit der Freiheit unseres Lebens“ in der Demokratie und die „Sicherheit der Grundlagen unseres Lebens“. Wo Krieg die Lebensgrundlagen auslösche, könne es keine Sicherheit geben, sagte Baerbock. „Aber auch dort, wo die Folgen des Klimawandels, von Hunger, Armut und fehlendem Wohlstand der Menschen Leid erzwingen, gibt es keine Grundlage für sicheres Leben in Freiheit“.
Der Ukraine-Krieg zeige „einmal mehr, dass die Sicherheit von der Bündnisfähigkeit der Nato abhängt“, unterstrich Baerbock. Von Deutschland forderte sie deshalb mehr Verantwortungsübernahme in dem Bündnis.
Für die neue sicherheitspolitische Strategie bedeute das einerseits, dass die „bisherige Stolperdraht-Logik“, die durch militärische „Mindestpräsenzen in den baltischen Staaten und Polen signalisiert, dass ein Angriff auf ein Nato-Land ein Angriff auf alle ist, in der jetzigen Form nicht mehr ausreicht“, sagte Baerbock.
Eine langfristige Ausgestaltung der jüngst erfolgten Verstärkung der Nato-Ostflanke sowie auf die neuen Realitäten ausgerichtete militärische Übungen müssten der „Tatsache Rechnung tragen, dass das gesamte östliche Bündnisgebiet einer neuen Bedrohung unterliegt“.
Neben der Aufstellung von „Nato-Präsenzen in den Ländern Südosteuropas“ bedeute das, dafür zu sorgen, „dass die nukleare Abschreckung der Nato glaubhaft“ bleibe. Aus diesem Grund habe sich die Bundesregierung jüngst für die Beschaffung atomwaffenfähiger F-35-Tarnkappenjets entschieden.
Eine Abkehr von der von ihr vertretenen „wertegeleiteten Außenpolitik“ soll die sicherheitspolitische Neuaufstellung laut Baerbock nicht sein – im Gegenteil: „Russlands aggressives Vorgehen führt uns vor Augen: Bei Fragen von Krieg und Frieden, von Recht und Unrecht, kann kein Land, auch nicht Deutschland, neutral sein.“
Aus der „deutschen Schuld für Krieg und Völkermord“ erwachse die „Verpflichtung, jenen zur Seite zu stehen, deren Leben, Freiheit und Rechte bedroht sind“, betonte die Außenministerin. Sich nicht an die Seite des Unterdrückers stellen zu dürfen, gelte aber nicht nur im Umgang mit Russland, sondern mit allen Autokratien.
Baerbock verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die massiven Infrastruktur-Investitionen Chinas weltweit. „Wenn wir sehen, in welchen Länder China komplett in die Stromversorgung investiert hat, dann sehen wir auch, dass sich dort eben die Fragen von Souveränität, territorialer Integrität und die Frage des Völkerrechts ganz eindringlich stellen“. Deshalb werde die Bundesregierung in den kommenden Monaten auch eine neue China-Strategie erarbeiten.