Die ostdeutsche Wirtschaft wird laut einer aktuellen Studie in den kommenden Jahren die Folgen der Überalterung deutlich zu spüren bekommen. Dazu gehören eine sinkende Wirtschaftskraft, weniger Innovationen und Gründungen und eine Zunahme des Fachkräftemangels, wie das Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Montag erklärte. Die Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland verschärfe die Lage, doch auch westdeutschen Bundesländern drohe „in wenigen Jahren das gleiche Schicksal“.
„In den frühen 90er Jahren war die Bevölkerung in Ostdeutschland im Durchschnitt deutlich jünger als im Westen“, erklärte der IfW-Direktor des Forschungszentrums Innovation und Internationaler Wettbewerb, Dirk Dohse. Durch die Abwanderung junger Menschen, niedrigere Geburtenraten und wenig Zuzug aus dem Ausland habe sich dies jedoch grundlegend geändert.
In Thüringen, in dessen Auftrag das Gutachten des IfW erstellt wurde, ließ sich diese Entwicklung besonders klar erkennen: Zwischen 1991 und 2019 verlor das Bundesland demnach gut 17 Prozent seiner Einwohner, nur Sachsen-Anhalt kehrten mit 22,3 Prozent noch mehr Menschen den Rücken. In den alten Bundesländern stiegen die Bevölkerungszahlen im gleichen Zeitraum dagegen teilweise deutlich.
Seit Mitte des letzten Jahrzehnts verliere die ostdeutsche Wirtschaft „zunehmend den Anschluss“ an den Rest der Bundesrepublik. So wuchs die Wirtschaft in Thüringen zwischen 2015 und 2019 um 4,4 Prozentpunkte langsamer als im bundesweiten Durchschnitt. In Thüringen betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf 2020 knapp 30.000 Euro, nur in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern lag der Wert darunter. In Hamburg dagegen lag das BIP pro Kopf bei deutlich über 60.000 Euro.
Der Angleich an das Westniveau verlaufe schleppend, erklärte das IfW: Sollte sich dieser im gleichen Tempo fortsetzen wie seit 2015, werden ostdeutsche Haushalte erst in 40 Jahren über das gleiche Einkommen verfügen wie Haushalte in Westdeutschland.
In den kommenden Jahren stehe die ostdeutsche Wirtschaft vor weiteren Herausforderungen, warnten die Forscher. Der zunehmende Fachkräftemangel bedeute, dass Unternehmen ihre Aufträge nicht abarbeiten können, die Wirtschaftsleistung sinke somit weiter. Wenig junge Menschen bedeuteten auch wenig Innovation und Unternehmensgründungen.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, solle die Politik „die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts“ für Fachkräfte und Hochqualifizierte erhöhen, empfahl Dohse. Nötig sei ein „grundlegender Kurswechsel in der Förderpolitik“. Anstatt Arbeitsplätze zu erhalten, für die es keine Fachkräfte gebe, sollten neue Arbeitskräfte angezogen werden. Priorisiert werden solle zudem die Förderung des Strukturwandels und der Produktivität von Unternehmen.