Die AfD hat sich nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Wolfgang Schroeder weiter radikalisiert. „Die Partei ist nicht willens oder nicht in der Lage, eine klare Grenze nach rechts zu ziehen“, sagte Schroeder der Nachrichtenagentur AFP. Er hält es mit Blick auf die anstehende Verhandlung vor dem Kölner Verwaltungsgericht dennoch nicht für gesichert, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD künftig als rechtsextremen Verdachtsfall behandeln könne.
„Allein auf Basis öffentlicher Verlautbarungen ist eine solche Einstufung juristisch möglicherweise nicht zweifelsfrei wasserdicht zu begründen“, sagte Schroeder. Erst wenn der Verdachtsfall eintreten würde, dürften geheimdienstliche Mittel zur Beobachtung eingesetzt werden, etwa Observationen oder das Sammeln von Informationen durch sogenannte V-Leute. „Das wäre eine neue Dimension“, sagte Schroeder. „Nicht nur für die AfD, sondern auch für den Bundestag, denn bislang wurde noch keine Partei als Ganzes als Verdachtsfall eingestuft.“
Die Richtung, in die sich die AfD entwickelt habe, sei offensichtlich: „Wir sehen ein starkes Vordringen von als rechtsextrem definierten Personen, und wir sehen ein programmatisches Vordringen rechtsextremen Gedankenguts.“ Rechtsaußen Andreas Kalbitz wirke „in Brandenburg so weiter, als wäre nichts geschehen, er nimmt an strategischen Beratungen oder öffentlichen Kundgebungen teil“. Kalbitz‘ AfD-Mitgliedschaft war 2020 auf Betreiben des inzwischen zurückgetretenen Parteichefs Jörg Meuthen für nichtig erklärt worden.
Auch der Einfluss des Thüringer Landeschefs Björn Höcke sei weiter gewachsen. Die „Galionsfigur des rechten Flügels“ habe auf dem Dresdner Parteitag 2021 Beschlüsse herbeigeführt, welche die AfD weiter nach rechts rückten. Auch unter den Mitarbeitern in den AfD-Bundestagsbüros gebe es ein hohes Maß an Verknüpfungen mit als rechtsextrem eingestuften Gruppen, etwa der Identitären Bewegung, dem Institut für Staatspolitik (IfS) im sachsen-anhaltischen Schnellroda oder der Bewegung „Ein Prozent“.
Dieses Umfeld in Partei und Fraktion habe „in den vergangenen Jahren eine enorme Bedeutung erlangt“, sagte der Kasseler Politologe. Radikal rechte Haltungen hätten sich „verdichtet und zementiert“. Eine Einstufung der gesamten AfD als rechtsextremer Verdachtsfall könne „vor allem Konsequenzen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben“. Mitglieder eines Beobachtungsobjekts würden wohl Probleme mit ihrer Dienststelle bekommen.
Insgesamt sieht Schroeder die AfD „auf dem Abstiegsweg“. Die Partei „verliert an Bedeutung, an Relevanz und an Selbstgewissheit“, sagte der Politikwissenschaftler. „Wenn sie immer radikaler wird, wird sie voll in die Hände des Verfassungsschutzes getrieben. Wenn sie dem entgehen, verliert sie ebenfalls an Zuspruch, weil ihr dann die Aufmerksamkeit und Mobilisierungskraft verloren geht.“
Offensichtlich sei, dass die AfD im Osten aufs Ganze betrachtet anders ticke als im Westen. Somit wäre ungeachtet der gerichtlichen Entscheidung eine Option, dass sich die AfD als „Lega Ost“ entwickle, sagte Schroeder angesichts der starken Zustimmungswerte in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Für die vier Landtagswahlen im Westen in diesem Jahr rechnet der Politologe „in jedem Fall mit schlechteren Ergebnissen“ als bei den vorigen Wahlen.
Vor dem Kölner Verwaltungsgericht geht es am Dienstag und am Mittwoch um insgesamt vier Klagen der AfD und der Jungen Alternative (JA) gegen die Einstufung als Verdachtsfälle oder als gesicherte Fälle für eine rechtsextremistische Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.