Helsinki, Sonntagabend, 19.07 Uhr: Zum vorerst letzten Mal fährt der Schnellzug Allegro aus St. Petersburg in den Bahnhof der finnischen Hauptstadt ein. Ab jetzt gibt es keine Bahnverbindung mehr zwischen Russland und der EU – eine weitere Folge des Ukraine-Krieges.
Menschen schleppen große Koffer auf den Bahnsteig, auch Kinder steigen aus dem Zug. Alex hat seine zwei Katzen im Gepäck. „Jetzt, wo ich die beiden wieder habe, gibt es keinen Grund mehr, zurückzukehren. Ich habe alles, was mir wichtig ist“, sagt der junge Mann mit den blau gefärbten Haaren. Alex stammt aus Moskau, lebt aber bereits seit einigen Jahren in Finnland.
Als die EU wegen des Angriffs auf die Ukraine den Flugverkehr nach Russland einstellte, hielt Finnland die Bahnverbindung zunächst aufrecht. Die Regierung wollte so in Russland lebenden Finnen die Rückkehr und Russen die Ausreise ermöglichen. Am Donnerstag wies die finnische Regierung die Bahngesellschaft VR jedoch an, die Linie zu schließen. Angesichts der harten Sanktionen sei der Betrieb „nicht mehr angemessen“.
Der Krieg hatte die Nachfrage nach Tickets für die zwei Allegro-Züge am Tag deutlich ansteigen lassen. In den vergangenen Wochen nutzten täglich etwa 700 Reisende die Verbindung, um Russland zu verlassen.
Und das, obwohl die Hürden für Russen hoch sind, den Zug überhaupt nutzen zu können: Sie müssen ein gültiges Visum für den Schengen-Raum haben und mit einem in der EU anerkannten Vakzin gegen Covid geimpft sein. Der in Russland übliche Impfstoff Sputnik zählt nicht dazu. Die meisten russischen Passagiere waren deshalb Menschen, die bereits vor dem Krieg in der Europäischen Union arbeiteten oder studierten.
Seit 2010 betreiben die finnische und die russische Eisenbahngesellschaft gemeinsam die weiß lackierten Allegro-Schnellzüge, welche die 400 Kilometer zwischen den beiden Metropolen mit mehreren Zwischenstopps in dreieinhalb Stunden zurücklegen. Sie wurden ein Symbol der finnisch-russischen Partnerschaft. Bei der Eröffnung der Strecke waren der russische Präsident Wladimir Putin und die damalige finnische Staatschefin Tarja Halonen gemeinsam an Bord.
„Ich weiß nicht, wie ich jetzt zurückkommen soll“, sagt Iwan, der mit seiner Mutter aus dem Zug steigt. Er studiert in Moskau, gerade ist er auf dem Weg in die Osterferien in seine Heimat Portugal. In ein paar Wochen stehen an seiner russischen Universität Prüfungen an. „Wir werden sehen, wie wir das lösen“, sagt Iwan. „Die Situation in Russland ist komplizierter geworden.“
„Ich hoffe, dass der Zug bald wieder normal fahren wird“, sagt Passagierin Alija. Die Russin arbeitet in Helsinki, besucht aber regelmäßig ihre Familie und Freunde in St. Petersburg. Ohne die Bahnverbindung werde das schwieriger, fürchtet Alija. „Aber die Leute werden schon irgendwie Wege finden.“
Mit dem Auto ist die Reise weiterhin möglich, die Grenzübergänge zwischen Russland und Finnland bleiben geöffnet. Die Einstellung der Zugverbindung hat auch symbolischen Charakter: Selbst während des Kalten Krieges verkehrte ein Nachtzug durch den Eisernen Vorhang hindurch zwischen Helsinki und Russland.