Einen Tag vor der Entscheidung über das neue Infektionsschutzgesetz haben die Länder deutliche Kritik an der Aufhebung wesentlicher Corona-Schutzmaßnahmen geübt. Der Entwurf sei „rechtlich unsicher und praktisch nicht umsetzbar“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), am Donnerstag nach Bund-Länder-Beratungen. Die Länder forderten, bei einer neuerlichen Verschlechterung der Lage abermals über eine Gesetzesänderung zu beraten – was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch zusicherte.
Bereits im Februar hätten die Bundesländer effektive Instrumente im Kampf gegen die Pandemie gefordert, sagte Wüst. „Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der morgen beschlossen werden soll, bringt das exakte Gegenteil.“ Er bemängelte auch eine unzureichende Einbindung der Länder bei der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs.
Die Kritik der Länder an diesem Prozess sei „parteiübergreifend und sehr deutlich“ gewesen, fügte Wüst hinzu. Dies sei auch in drei Protokollerklärungen in der länderinternen Ministerpräsidentenkonferenz deutlich geworden. „Der Bund trägt jetzt die Verantwortung dafür, dass den Ländern die Werkzeuge für einen schnellen und effektiven Basisschutz genommen werden.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war der Ampel-Regierung einen „Alleingang“ vor. Er schade „dem Gesundheitsschutz unserer Bürger“.
Das neue Infektionsschutzgesetz, über das Bundestag und Bundesrat am Freitag abschließend entscheiden, sieht Basisschutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr sowie härtere Regelungen in Hotspots vor. Zudem können die Länder die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vorübergehend noch bis zum 2. April verlängern – wovon sie auch Gebrauch machen wollen.
Nach Auffassung der Länder sind die Hürden für die Ausweisung von Hotspots im Gesetz danach aber sehr hoch. „Man muss sich natürlich sehr gut überlegen, ob man diesen Schritt geht“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Kriterien seien eine signifikante höhere Pathogenität – also die Gefährlichkeit von Virusvarianten – und eine Überlastung der Krankenhäuser.
Dies seien aber „unbestimmte Rechtsbegriffe“,. betonte Giffey. Deshalb bestünden hier „einige Hürden“. Wüst betonte, es müsse der Nachweis geführt werden, dass das System überlastet sei. Hier mangele es der Regelung an „Praktikabilität“.
Nach Giffeys Worten haben die Länder bei der Besprechung mit dem Bund deutlich gemacht, dass es bei einer neuerlichen Verschlechterung der Lage die Möglichkeit geben müsse, schnell und unmittelbar über eine erneute Novelle des Infektionsschutzgesetzes zu beraten.
Dem stimmte Scholz zu. Es gebe eine Verständigung darüber, „dass wir (…) jederzeit zu einer weiteren Veränderung des Gesetzes bereit sind, wenn das erforderlich wird“. Der Kanzler verteidigte zugleich das neue Infektionsschutzgesetz. Es sei „eine rechtliche Grundlage, auf der für die Zukunft aufgebaut werden kann“.
Die Pandemie sei zwar noch nicht vorbei, betonte der Bundeskanzler. Allerdings zeige sich, dass sich die Lage in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen nicht so dramatisch entwickelt habe und die Krankheit bei der Omikron-Variante nicht so kompliziert verlaufe.