Nach der Wahl ist in Frankreich vor der Wahl: Sobald am Sonntagabend der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist, richten sich die Augen auf die sogenannte „dritte Runde“, die Parlamentswahl am 12. und 19. Juni.
Wie sieht die Amtsübernahme aus?
Macron hatte sich 2017 für einen feierlichen Auftritt vor dem Louvre entschieden. Falls er im Amt bleibt, wird der Beginn des zweiten Mandats nüchterner ausfallen. Auf eine erneute Fahrt über die Prachtstraße der Champs-Elysée würde er verzichten. Eine Zeremonie soll es aber geben.
Premierminister Jean Castex hat bereits seinen Rücktritt im Fall eines Wahlsiegs von Macron angekündigt. Macron würde vermutlich erneut Politiker aus dem linken und rechten Lager in sein Kabinett holen. Seine erste Dienstreise würde traditionell nach Berlin gehen.
Falls Le Pen das höchste Staatsamt übernimmt, dürfte sie versuchen, der Zeremonie ihren Stempel aufzudrücken. Sie kündigte bereits an, dass ihr Vater, der rechtsextreme Parteigründer Jean-Marie Le Pen, bei ihrer Amtseinführung anwesend sein würde. Ihrem rechtsextremen Konkurrenten Eric Zemmour und ihrer Nichte Marion Maréchal, die zu Zemmour übergelaufen ist, will sie keinen Platz in ihrem Kabinett einräumen. Ihre erste Dienstreise würde nach Brüssel gehen.
Was würde ein Sieg Macrons für Europa bedeuten?
In Europa würden viele aufatmen, dass die Gefahr des Populismus in Frankreich einmal mehr gebannt wäre. Europapolitisch würde Macron sein Programm fortsetzen, das er seit Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft verfolgt, insbesondere den Ausbau der gemeinsamen Verteidigung. Wenn das Ergebnis wie vorhergesagt knapp ausfällt, wird Macron es innenpolitisch schwerer haben, seine geplante Renten- und Schulreform durchzusetzen.
Was würde ein Sieg Le Pens für Europa bedeuten?
Es wäre in den Augen vieler gemäßigter Europäer ein drittes politisches Erdbeben nach dem Brexit und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA, das wenige zuvor wahrhaben wollten. Le Pen würde eine Kehrtwende in der Europapolitik einläuten und unter anderem die gemeinsame Verteidigung aufkündigen. Die Allianz westlicher Staaten gegen den russische Präsidenten Wladimir Putin wäre gefährdet. Le Pen lehnt Sanktionen ab, um die französische Wirtschaft nicht zu gefährden.
Wie wird die Parlamentswahl im Juni verlaufen?
Macrons Partei La République en Marche ist nicht besonders stark in der Fläche verwurzelt. Sie müsste viele Allianzen schmieden, um Kandidaten in die Nationalversammlung zu schicken. Dies ist auf regionaler Ebene aber oft einfacher als auf nationaler Ebene, zumal die Kandidaten der Sozialisten in der ersten Runde äußerst schlecht abgeschnitten haben.
Le Pen hat seit Jahren daran gearbeitet, landesweit ein Netz von Bürgermeistern und Parlamentariern aufzubauen. Ihre Partei ist vor allem in ehemaligen Industriegebieten und im Süden Frankreichs stark, wo viele ihrer Wähler Angst vor dem Monatsende und vor Einwanderern haben.
Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der mit 21 Prozent auf den dritten Platz gekommen war, brachte sich bereits als Premierminister ins Gespräch, falls seine Partei gut abschneidet.