Nach der Entscheidung des Bundestags gegen eine Corona-Impfpflicht sieht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keinerlei Möglichkeiten mehr für einen weiteren Abbau der Eindämmungsmaßnahmen gegen die Pandemie. „Das, was wir an Lockerungen machen konnten, haben wir verbraucht“, sagte er am Freitag in Berlin. Für weitere Schritte gebe es „keinen Spielraum“.
Mit den aktuellen Eindämmungsmaßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes werde das Land zudem „im Herbst mit Sicherheit nicht über die Runden kommen“, fügte Lauterbach hinzu. Es werde beispielsweise „mit großer Wahrscheinlichkeit“ nicht ohne die Wiedereinführung einer Maskenpflicht in vielen Bereichen gehen. Deshalb müsse das Gesetz noch einmal geändert werden.
Wäre die Impfpflicht beschlossen worden, seien vermutlich „mehr Freiheiten im Infektionsschutzgesetz“ möglich gewesen, sagte Lauterbach. Die Impfpflicht wäre aus seiner Sicht „dringend nötig“ gewesen.
Ein Gesetzentwurf für eine Corona-Impfpflicht für alle ab 60 war am Donnerstag im Bundestag gescheitert. „Das war eine schlechte Woche für den Schutz der Bevölkerung vor der Corona-Infektion“, sagte Lauterbach dazu. Die Bundestagsentscheidung sei „eine klare und auch bittere Niederlage für alle Impfpflichtbefürworter“, auch für ihn selbst.
Sie sei zugleich eine schlechte Nachricht für das Gesundheitspersonal, dass Corona-Patienten betreue, und für alle Angehörigen von vulnerablen Gruppen. Außerdem handele es sich um eine „traurige Nachricht“ in Bezug auf die schweren Erkrankungen und Todesfälle, die durch eine Impfpflicht hätten verhindert werden können.
Lauterbach bekräftigte, dass er weiter Gespräche im Bundestag zum Thema Impfpflicht führen wolle. Er sei dabei aber „sehr skeptisch“, räumte er ein.
Er wolle nun „noch einmal an eine kreative Kampagne für die Impfung herangehen“, kündigte Lauterbach zugleich an. „Wenn wir das kreativ und gut machen“, könne die Impfquote bis zum Herbst noch erhöht werden.
Zur aktuellen Corona-Lage sagte Lauterbach, die Neuinfektionen gingen derzeit deutlich zurück. „Wir sind jetzt in einen relativ stabilen Rückgang der Fallzahlen gekommen.“ Für die Osterferien bat er darum, sich vor einer Reise testen zu lassen, damit es nicht zur Unterbrechung dieser Entwicklung komme. Bei den schweren Krankheitsfällen und den Sterbefällen sehe es allerdings nicht so gut aus, sagte Lauterbach weiter.
Ähnlich äußerte sich Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). Der Höhepunkt der aktuellen Welle sei überschritten, sagte er. Die Fallzahlen lägen aber immer noch auf hohem Niveau. Es sei „sehr beruhigend“, dass die meisten Infektionen mit der Omikron-Variante mild verliefen. Gleichzeitig sei es bedrückend, dass immer noch täglich 200 bis 300 Todesfälle verzeichnet würden.
Eine bundesweite Überlastung der Intensivstationen gebe es derzeit nicht, berichtete Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen liege seit Anfang Februar konstant zwischen 2000 und 2400.
Dennoch seien die Stationen „mehr als belastet“. Bei 40 Prozent von ihnen stünden Ampeln auf Rot. Operationen müssten verschoben werden, das Personal sei am Limit.
Wieler rief erneut dazu auf, sich impfen zu lassen. Eine Omikron-Infektion allein biete keinen Schutz gegen andere Varianten, sagte er. Die Impfung reduziere das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf und auch das Risiko für Langzeitfolgen. Für bestimmte Gruppen sei – wie es die Ständige Impfkommission empfehle – auch eine vierte Impfung sinnvoll.
Außerdem riet Wieler dazu, in Innenräumen weiter Masken zu tragen. Es sei ein Sommer mit höheren Fallzahlen als in den letzten beiden Sommern zu erwarten, sagte der RKI-Präsident. „Lassen Sie uns gemeinsam füreinander sorgen und positiv nach vorne blicken.“