Wird die kleine Republik Moldau zum nächsten Krisenherd in Europa? Kaum ein Anrainerland der Ukraine leidet so sehr unter dem Krieg wie die frühere Sowjetrepublik im Südosten Europas. Die Teilnehmer einer Geberkonferenz in Berlin beschlossen am Dienstag umfassende Hilfen für das 2,6-Millionen Einwohner-Land. Humanitäre Hilfen im Wert von 71 Millionen Euro sollen die Regierung in Chisinau etwa bei der Bewältigung der vom Ukraine-Krieg ausgelösten Flüchtlingskrise unterstützen. Hilfen soll es auch bei der Diversifizierung der Energieversorgung und der allgemeinen wirtschaftlichen Stabilisierung geben.
Warum benötigt Moldau Hilfe?
Die Republik Moldau entspricht in Größe und Einwohnerzahl in etwa dem deutschen Bundesland Brandenburg. Seit Beginn des Kriegs im Nachbarland Ukraine sind rund 400.000 Flüchtlinge über die Grenze nach Moldau gekommen.
Zwar sind die meisten Kriegsflüchtlinge inzwischen in andere Länder weitergereist – aber rund 100.000 sind im Land geblieben. Für die Regierung in Chisinau sei die Bewältigung der Krise eine „monumentale Herausforderung“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin. Die moldauische Regierungschefin Natalia Gavrilita sprach von der „größten Herausforderung für eine moldauische Regierung seit drei Jahrzehnten“.
Wie groß ist die Not in Moldau?
Moldau ist das ärmste Land Europas, das durchschnittliche Monatsgehalt liegt bei 360 Euro. Alleine kann die frühere Sowjetrepublik die Folgen des Ukraine-Kriegs nicht stemmen. „Moldau ist ein wirklich herausragendes Beispiel für Solidarität“, sagt Dima Al-Khatib, die das UN-Entwicklungsprogramm UNDP in Moldaus Hauptstadt Chisinau vertritt, der Nachrichtenagentur AFP. Etwa 80 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge in Moldau seien bei privaten Gastgebern untergekommen.
Der Krieg im Nachbarland könnte „schwere Auswirkungen“ auf Moldau haben – auch wegen der steigenden Energiepreise, sagt Al-Khatib. Die Zahl der Moldauer, die unterhalb der Armutsgrenze leben, könnte von zwölf auf 50 Prozent steigen. Gavrilita warnte in Berlin auch vor Problemen bei der Ernährungssicherheit.
Was hat die Geberkonferenz beschlossen?
71 Millionen Euro an humanitärer Hilfe sollen Moldau unter anderem bei der Unterbringung von Flüchtlingen helfen. 12.000 Kriegsflüchtlinge sollen zudem in andere Länder umverteilt werden. Die Geberkonferenz bildet zugleich den Startschuss für eine dauerhaft angelegte Unterstützungsplattform für Moldau. Um das Land finanziell und wirtschaftlich zu stabilisieren, stellen die Konferenzteilnehmer 695 Millionen Euro an Krediten und anderen Budgethilfen bereit.
Wird Moldau von Russland bedroht?
Moldau gehörte wie auch die Ukraine früher zur Sowjetunion. Die Sorge hier ist groß, dass der Kreml das Land als Teil einer russischen Einflusszone beansprucht. Vergrößert wird diese Sorge durch das Transnistrien-Problem: Die im Osten Moldaus gelegene Region sagte sich nach der Unabhängigkeit Moldaus 1990 von der Zentralregierung los und rief einen eigenen Staat aus – mit Hammer und Sichel im Staatsemblem und einer Lenin-Statue vor dem Parlament in Tiraspol.
Die Abspaltung erfolgte mithilfe russischer Soldaten, die dort seit der Sowjetzeit stationiert sind. Und noch immer sind russische Armeeeinheiten in Transnistrien vor Ort. In Transnistrien liegt auch das einzige Kraftwerk in Moldau. Beim Gas ist das Land zu hundert Prozent von russischen Lieferungen abhängig.
Wie ist die innenpolitische Lage in Moldau?
Die 32 Jahre von Moldaus Eigenstaatlichkeit waren geprägt von einem Hin und Her zwischen West-Orientierung und Wiederannäherung an Russland – ganz ähnlich, wie das in der Ukraine der Fall war. Die politische Folge dieses Kurskonflikts in Moldau sind Instabilität und ein vergiftetes innenpolitisches Klima.
Derzeit allerdings ist Moldau so pro-westlich aufgestellt wie nie zuvor: Präsidentin Sandu, Ministerpräsidentin Gavrilita und die Mehrheit im Parlament zählen zum Lager der pro-westlichen Reformer. Ihre Wahl wurde auch durch den katastrophalen Bankenskandal von 2015 begünstigt: Damals verschwanden in Moldau kurz vor der Abwahl der prorussischen Regierung rund 900 Millionen Euro bei dubiosen Kreditgeschäften, das Land leidet bis heute unter dem Verlust.