Der Ukraine-Krieg ist nach russischen Angaben in eine „neue Phase“ eingetreten: In der Nacht zum Dienstag flog die russische Armee im Osten des Nachbarlandes dutzende Luftangriffe, die Regierung in Kiew sprach vom Beginn der befürchteten russischen Großoffensive im Donbass. Moskau rief die ukrainischen Streitkräfte zur Aufgabe auf, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte hingegen: „Egal, wie viele russische Soldaten dorthin gebracht wurden, wir werden kämpfen.“
„Hochpräzise luftgestützte Raketen“ hätten 13 ukrainische Stellungen in Teilen des Donbass getroffen, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Bei weiteren Luftangriffen seien „60 militärische Einrichtungen“ getroffen worden, darunter auch welche in Städten nahe der östlichen Frontlinie. Insgesamt seien in der Nacht 1260 militärische Ziele durch Raketen und Artillerie getroffen worden.
„Wir setzen unseren Plan zur Befreiung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk schrittweise um“, sagte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit Blick auf die Separatisten-Gebiete, die Moskau als unabhängige Staaten anerkannt hat. Das Ministerium forderte alle ukrainischen Soldaten auf, „unverzüglich die Waffen niederzulegen“.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach in einem Interview mit der Zeitung „India Today“ von einer „neuen Phase“ in dem Konflikt. Er sei „sicher, dies wird ein sehr wichtiger Moment in diesem ganzen besonderen Einsatz sein“.
Teile des Donbass werden bereits seit 2014 von pro-russischen Separatisten beherrscht. Die Eroberung weiterer Teile der Region und insbesondere der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol würde es Russland ermöglichen, einen südlichen Korridor zu der 2014 annektierten Krim-Halbinsel herzustellen.
In Donezk rückten die Russen „in Richtung Marijnka, Otscheretyne und Awdijiwka“ vor, erklärte Gouverneur Pawlo Kyrylenko auf Telegram. „Die Lage an der Front ist schwierig, aber unter Kontrolle.“
Auch der Gouverneur von Luhansk, Serhij Gajdaj, erklärte, die ukrainischen Streitkräfte hielten weiterhin die Stellung. „Wir haben Stellungskämpfe in den Städten Rubischne und Popasna. Der Feind kann dort jedoch nichts ausrichten.“
Auch in der seit Wochen heftig umkämpften Hafenstadt Mariupol spitzte sich die Lage weiter zu. In einem dortigen Stahlwerk der Asow-Stahl-Gruppe leisteten die verbliebenen ukrainischen Kämpfer erbitterten Widerstand gegen die russischen Angreifer. Kyrylenko zufolge hielten die Straßenkämpfe in der Stadt auch am Dienstag an. Man könne „nicht sagen“, dass sich die umkämpften Stadtteile unter der Kontrolle der Russen befänden, sagte der Regionalgouverneur.
Der Kommandeur der separatistischen Kräfte aus Donezk, Eduard Bassurin, hatte zuvor gemeldet, russische „Angriffstruppen“ hätten mit Unterstützung der Artillerie und der Luftwaffe einen „teilweisen“ Vorstoß auf den Fabrik-Komplex gestartet. Russland rief die ukrainischen Streitkräfte in Mariupol erneut zur Kapitulation auf und sagte ihnen einen sicheren Rückzug über einen „humanitären Korridor“ zu.
Russland verstärkte zuletzt auch wieder seine Angriffe im Westen des Landes. Bei Raketenangriffen auf Lwiw wurden nach ukrainischen Angaben mindestens sieben Menschen getötet. In Charkiw starben nach Angaben des Regionalgouverneurs Oleg Synegubow drei Menschen durch russischen Beschuss. 21 weitere Menschen wurden verletzt.
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die russische Großoffensive in der Ostukraine und forderte eine viertägige Waffenruhe anlässlich des orthodoxen Osterfestes.
Russland kündigte indes die Ausweisung dutzender europäischer Diplomaten an. 15 niederländische sowie vier österreichische Diplomaten müssten das Land verlassen, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Es handele sich um eine Vergeltungsmaßnahme für die Ausweisung russischer Diplomaten im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.
Auch belgische Diplomaten wurden zu unerwünschten Personen erklärt. Belgien hatte vergangenen Monat 21 Vertreter Russlands des Landes verwiesen. Der Kreml kündigte daraufhin Vergeltungsmaßnahmen nach dem „Prinzip der Gegenseitigkeit“ an. Die genaue Zahl der betroffenen belgischen Diplomaten blieb jedoch unklar.