Bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl setzt die SPD im hohen Norden auf einen nach den üblichen Maßstäben des politischen Betriebs eher ungewöhnlichen Kandidaten. Thomas Losse-Müller trat der Partei erst im Jahr 2020 bei und übernahm in ihr auch keinerlei Amt. Die Mission des 48-jährigen ehemaligen Staatskanzleichefs des früheren Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) besteht ausschließlich darin, dem amtierenden Regierungschef Daniel Günther (CDU) die Macht in Kiel zu entwinden.
Dass das Experiment gelingen könnte, gilt derzeit als unwahrscheinlich. Nach dem fulminanten Wahlsieg der SPD im Saarland vor einigen Wochen herrschte im Lager des Herausforderers zunächst noch Optimismus. „Das Rennen in den Ländern ist offen“, erklärte Losse-Müller. Inzwischen aber dürfte mit Blick auf Umfragen verhaltenere Stimmung vorherrschen.
In jüngsten Befragungen hatte die SPD nur halb so viel Zustimmung wie die CDU, im Direktvergleich mit dem beliebten Günther war Losse-Müller außerdem chancenlos. Auch wenn der SPD-Kandidat in Interviews unverdrossen betont, der Wahlkampf mache ihm trotzdem „viel Spaß“ und jeder weitere Tag bringe seinen Bekanntheitsgrad „nach oben“, ist von Wechselstimmung im Norden wenig zu spüren.
Losse-Müller stammt aus dem nordrhein-westfälischen Schwerte und ist Volkswirt. Nach einem Studium in Köln und London, in dem er sein Geld unter anderem als Roadie auf Tourneen von Musikstars wie Tina Turner verdiente, arbeitete er für die Deutsche Bank und später bei der Weltbank. Er lebte zeitweise in Washington und Frankfurt am Main, dort schloss er sich als Mitglied den Grünen an.
2012 holte die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold von den Grünen ihn als Staatssekretär in ihr Ministerium nach Kiel. 2014 bot ihm der damalige SPD-Ministerpräsident Torsten Albig an, für ihn die Staatskanzlei zu leiten. Losse-Müller nahm an und führte die Regierungszentrale bis zur SPD-Niederlage 2017.
Danach arbeitete Losse-Müller, der eigenen Angaben zufolge unter anderem ein begeisterter Vogelbeobachter ist und Ausflüge in die Natur mag, für ein Beratungsunternehmen. Zugleich engagierte er sich trotz seiner Grünen-Mitgliedschaft weiterhin für die SPD in Schleswig-Holstein. Die Partei berief ihn 2019 in eine Denkfabrik.
Losse-Müller ist seit 2009 verheiratet, seine Frau lernte er über die gemeinsame Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit kennen. Sie stammt aus Schleswig-Holstein. Gemeinsam hat das Paar zwei Töchter, die Familie lebt im kleinen Ahlefeld-Bistensee nördlich von Rendsburg. Er sei jetzt dort „zu Hause“, betont der Kandidat.
Die jahrelange wechselseitige Annäherung zwischen ihm und der SPD gipfelte 2020 in seinem Parteieintritt. Losse-Müller beschreibt dies als Ergebnis eines längeren Denkprozesses. „Die SPD ist für mich die Partei, die gesellschaftlichen Zusammenhalt organisiert.“
Zugleich erkannte die schleswig-holsteinische SPD, die unter ihrer Landeschefin Serpil Midyatli seit längerem an einer strategischen Neuaufstellung und einem Generationswechsel arbeitet, in ihm dem geeigneten Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Dass nicht sie zugriff, überraschte bei der Verkündung im vergangenen Jahr nicht wenige. Midyatli verwies auf Losse-Müllers Erfahrung als Berater und betonte zugleich, sie wolle keine „One-Woman-Show“ aufführen.
Inhaltlich setzt Losse-Müller unter anderem auf die Forderung nach einer Mietpreisbremse. In einem eher gemächlich dahinplätschernden Wahlkampf ist das einer der SPD-Schwerpunkte. Seiner persönlichen Art und seinem Werdegang entsprechend agiert Losse-Müller eher als besonnener Experte denn als einpeitschender Wahlkämpfer. Doch das entspricht dem Stil der Auseinandersetzung, auch seine Mitbewerber treten sachlich auf.
Seine berufliche Zukunft sieht Losse-Müller jedenfalls auch bei einer Wahlniederlage der SPD gegen Günthers CDU weiter eindeutig in Kiel. Schleswig-Holstein sei inzwischen seine Heimat, und er wolle die politische Entwicklung des Bundeslands mitgestalten, in dem seine Töchter lebten, betonte der Spitzenkandidat jüngst. Er wolle daher „in jedem Fall“ als SPD-Abgeordneter in den Landtag einziehen. Auch das Mandat betrachte er als „großes Privileg“.