Mit einem Ölembargo will die Europäische Union den Druck auf Russland im Ukraine-Krieg erhöhen – aber die geplanten Sanktionen spalten die Mitgliedsländer. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug den EU-Staaten am Mittwoch ein sechstes Sanktionspaket mit einem schrittweisen Importstopp für Rohöl und Ölprodukte bis zum Jahresende vor. Ungarn meldete umgehend Vorbehalte an, und auch die Slowakei und Tschechien pochten auf Nachbesserungen. Die EU-Staaten können die Sanktionen aber nur einstimmig billigen.
Die EU-Kommission schlug vor, „russische Rohöllieferungen innerhalb von sechs Monaten und raffinierte Erzeugnisse bis Ende des Jahres auslaufen“ zu lassen, wie von der Leyen bei einer Rede im Europaparlament in Straßburg sagte. „Auf diese Weise maximieren wir den Druck auf Russland und halten gleichzeitig Kollateralschäden für uns und unsere Partner weltweit möglichst gering“, betonte sie.
Der Sanktionsentwurf umfasst auch weitere Finanzsanktionen gegen Russland: So sollen die größte russische Bank Sberbank und zwei weitere Institute aus dem internationalen Finanzsystem Swift ausgeschlossen werden. Zudem sollen 58 weitere Verantwortliche mit Einreiseverboten in die EU und Kontensperrungen belegt werden. Darunter sind das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, sowie Offiziere, die für Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha und die Belagerung der Stadt Mariupol verantwortlich gemacht werden.
Kurz nach der Rede der Kommissionspräsidentin befassten sich die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel erstmals mit dem Vorschlag. Die nötige Einigkeit für einen Sanktionsbeschluss zeichnete sich jedoch nicht ab: Die Regierung in Budapest kritisierte in einer schriftlichen Stellungnahme, die eigene Energiesicherheit sei durch das Ölembargo nicht garantiert.
Tschechien forderte nach Angaben von Regierungschef Petr Fiala einen „zwei- bis dreijährigen Aufschub“ zur Umsetzung des Importstopps für sein Land. „Die Sanktionen dürfen tschechische Bürger nicht stärker belasten als Russland“, sagte er in Prag.
Auch die Slowakei forderte nach Angaben der tschechischen Nachrichtenagentur CTK eine bis zu dreijährige Übergangsfrist. „Unsere Partner sind einverstanden mit einer Übergangsphase, wir diskutieren nun ihre Länge“, zitierte die Agentur Wirtschaftsminister Richard Sulik.
Für Ungarn und die Slowakei hat die EU-Kommission in ihrem Sanktionsentwurf Ausnahmen vorgesehen. In dem AFP vorliegenden Text heißt es, beide Länder könnten bis Ende 2023 an bereits bestehenden Ölliefer-Verträgen mit Russland festhalten.
Die Bundesregierung hatte nach anfänglichem Zögern ihre Zustimmung zu einem Ölembargo signalisiert. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wiederholte am Mittwoch nach der Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg aber seine Warnung vor weiter steigenden Energiepreisen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte besonders von dem Einfuhrstopp betroffenen deutschen Regionen Unterstützung zu.
Mit den neuen Strafmaßnahmen will Brüssel auch dem staatlichen Nachrichtensender Rossija 24 und zwei weiteren Programmen die Sendefrequenzen streichen. Als Sprachrohre von Präsident Wladimir Putin hätten diese Fernsehkanäle „seine Lügen und Propaganda erwiesenermaßen aggressiv verbreitet“, betonte von der Leyen. Zudem sollen europäische Wirtschaftsprüfer und Berater nicht mehr für Russland arbeiten dürfen.
Der Kreml erklärte, die neuen Strafmaßnahmen schadeten der EU mehr als Russland. „Die Kosten der Sanktionen für die europäischen Bürger werden Tag für Tag steigen“, hieß es in Moskau.