Euphorie sieht anders aus, aber immerhin zeigt Hendrik Wüst am Sonntagabend ein breites Lächeln: Schließlich holte der amtierende Ministerpräsident für die CDU in Nordrhein-Westfalen den Wahlsieg. Dass er nicht überschwänglich reagiert, liegt sicherlich auch am Verlust des bisherigen Koalitionspartners FDP. Nun ist Wüst auf Partnersuche und gibt sich einmal mehr als besonnen abwägender Landesvater – dass er dies bleiben wird, ist jedoch nicht gesetzt.
Rund sieben Monate nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident ist am Wahlabend noch offen, ob Wüst auch weiterhin die Regierungsgeschäfte führen wird. Eine schwarz-grüne Koalition hätte im Düsseldorfer Landtag eine klare Mehrheit. Allerdings käme auch eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf eine Parlamentsmehrheit, während dies für Rot-Grün zunächst ungewiss war.
Wüst und auch die anderen Parteien halten sich am Wahlabend sämtliche Optionen offen, wenngleich sich zwischen CDU und Grünen zumindest ein Flirt andeutet. Als Leitmarke seiner Regierungspolitik sieht Wüst, Klimaschutz und Industrie mit der Sicherung von Arbeitsplätzen zu verbinden.
Nötig seien dafür „ökologische Kompetenz ebenso wie wirtschaftliche Kompetenz“, sagt Wüst, der CDU und Grüne zu den beiden Gewinnern des Wahlabends zählt. Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur nennt gleichfalls als „Aufgabe dieser politischen Generation“, die Klimakrise zu bekämpfen und zugleich dafür zu sorgen, dass es sozial fair zugehe.
Der Lebenslauf von Hendrik Wüst liest sich wie eine parteipolitische Bilderbuchkarriere – mit 19 Jahren Stadtverordneter, mit 31 Jahren CDU-Generalsekretär und mit 46 Jahren Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Als Regierungschef trat er im Oktober in die Fußstapfen seines Vorgängers Armin Laschet, der nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur als einfacher Abgeordneter in den Bundestag einzog. Mit seinen 46 Jahren zählt Wüst zu den jüngsten Ministerpräsidenten in der Geschichte Nordrhein-Westfalens.
Geboren wurde Wüst in der westfälischen Kleinstadt Rhede, wo er auch seine ersten Schritte in der Politik machte. Mit 15 Jahren trat er der Jungen Union bei, später übernahm er deren Landesvorsitz. Nach dem Abitur studierte er Jura und wurde 2003 als Rechtsanwalt zugelassen. 2005 zog Wüst als damals jüngster CDU-Abgeordneter in den Düsseldorfer Landtag ein. Nur ein Jahr später stieg er zum Generalsekretär auf. Ins schwarz-gelbe Kabinett unter Laschet wurde er 2017 als Verkehrsminister berufen.
Im nordrhein-westfälischen Parlament machte er sich wegen regelmäßiger verbaler Schlagabtausche einen Ruf als Kämpfernatur. Seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten gibt er sich jedoch ruhig und bedacht. In seinen Reden scheint er sich selbst zu bremsen und legt staatsmännische Pausen ein, wo er früher vielleicht lauter geworden wäre. Zu beobachten war dieser Effekt auch bei Wahlkampfauftritten.
Bei den Wahlkampfterminen in der Heimat schlugt ihm wenig Kritik entgegen. Auch der kürzliche Rücktritt seiner Kabinetts- und Parteikollegin Ursula Heinen-Esser schadete ihm offenbar nicht sehr. Nach heftiger Kritik im Zusammenhang mit einer umstrittenen Mallorca-Reise nach der Jahrhundertflut trat sie Anfang April von ihrem Amt als Umweltministerin zurück.
Negativen Schlagzeilen setzt Wüst eine gekonnte Selbstinszenierung entgegen. Gern präsentiert er sich vor allem in Onlinenetzwerken als entspannter, nahbarer Politiker von nebenan. Mal radelt er im Anzug mit dem Liegefahrrad durch die Gegend, mal sieht man ihn im T-Shirt beim Heimwerken, mal liest er mit seiner im vergangenen Frühjahr geborenen Tochter in der Babytrage ein Buch.
Mit dem Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz, die für Abstimmungen zwischen Bund und Ländern zuständig ist, wurde Wüst zugleich auf die bundespolitische Bühne katapultiert. Das dürfte sein Image durchaus gefördert haben. Ob er für seinen Wahlsieg am Sonntag nun auch den Lohn einfahren kann, werden die Gespräche in den kommenden Tagen oder Wochen zeigen.