Der Urnengang im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen wird gerne als „kleine Bundestagswahl“ betrachtet. Und natürlich hat die Entscheidung der rund 13 Millionen Wähler dort auch bundespolitische Bedeutung. Was die Wahl für die Parteien in Regierung und Opposition im Bund bedeutet:
CDU
NRW hat der CDU nach Schleswig-Holstein den zweiten Wahlsieg in Folge beschert. Zwar hat die schwarz-gelbe Koalition von Ministerpräsident Hendrik Wüst wegen die Schwäche der FDP ihre Mehrheit verloren – doch könnte Wüst etwa in einer Koalition mit den Grünen weiter regieren. Dann wiederum würde die CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland mit einer Berliner Regierungspartei koalieren – ein schwieriger Balanceakt. Der neue Partei- und Bundestagsfraktionschef Friedrich Merz wertete den Sieg in NRW aber als erfreuliches bundespolitisches Signal: „Die CDU ist zurück.“
SPD
Mit dem historisch schlechtesten Ergebnis in der einstigen Hochburg NRW scheint die SPD ihren Lauf nach den Siegen bei der Bundestagswahl und im Saarland verloren zu haben. Kanzler Olaf Scholz sieht sich seit Wochen in Erklärungsnot zu seiner Ukraine-Politik und zur Frage der Lieferung schwerer Waffen. Es wird noch darüber diskutiert werden, ob sein Eingreifen in den NRW-Wahlkampf der Landes-SPD eher schadete als half. Scholz‘ Abrutschen in den Popularitätswerten schienen jedenfalls auch die Umfragewerte für die SPD auf Bundesebene nach unten zu ziehen.
Grüne
Nach Schleswig-Holstein konnten die Grünen auch in NRW ein Rekordergebnis erzielen – und verdreifachten dabei ihr Resultat von der letzten Landtagswahl. Getragen auch durch die hohen Popularitätswerte für ihre Kabinettsmitglieder Robert Habeck und Annalena Baerbock sind die Grünen auch im Bundestrend seit Wochen im Aufwind. In der Ampel-Regierung mit SPD und FDP stehen sie nun als die strahlenden Gewinner der Dreierkoalition da und dürften versuchen, das in politisches Kapital in Berlin etwa in der Klimapolitik umzumünzen.
FDP
Es ist paradox: Auf Bundesebene ist es der FDP gelungen, viele ihrer Anliegen in der Ampel-Koalition durchzusetzen. Doch die Wählerinnen und Wähler in den Ländern honorieren dies nicht. Auf die Verluste vor einer Woche in Schleswig-Holstein folgt der Einbruch in NRW. Wird nun der Preis deutlich, den die FDP für den Eintritt in eine Bundesregierung an der Seite von Rot-grün zu zahlen hat? Parteichef Christian Lindner sprach von einem „sehr traurigen Abend“. Die Bundes-FDP wird sich nun gezwungen sehen, in der Regierungsarbeit noch deutlicher ihr Profil zu zeigen.
AfD
Die Krise der Rechtsaußen-Partei verschärft sich. Vor einer Woche verpasste sie in Schleswig-Holstein erstmals den Wiedereinzug in einen Landtag, auch in Nordrhein-Westfalen könnte es eng werden. Offenbar gibt es viel, womit die AfD die Wähler abschreckt: die Streitigkeiten ihres Spitzenpersonals, der ewige Kampf um den richtigen Kurs, das Unvermögen, ein zugkräftiges Wahlkampfthema zu finden. Die AfD ist auf dem Weg, eine ostdeutsche Regionalpartei zu werden. Das schlechte Ergebnis in NRW dürfte die internen Konflikte zunächst noch verschärfen.
Linke
Für die Partei jagt seit Monaten ein Desaster das nächste: Auf Bundesebene erst die Schlappe bei der Wahl im September, dann das Bekanntwerden sexueller Übergriffe, gefolgt vom Rücktritt der Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow. Und auf Länderebene folgt eine katastrophale Wahl die nächste: Im Saarland, in Schleswig-Holstein und nun in NRW scheiterte die Linke an der Fünfprozenthürde. All das erhöht den Druck auf den Parteitag Ende Juni in Erfurt – von dem Treffen muss ein glaubhaftes Signal der Erneuerung ausgehen.