In Anbetracht demokratiegefährdender Entwicklungen in der Gesellschaft auf nationaler wie auch internationaler Ebene ist demokratiefördernde Bildung wichtiger denn je. Bereits im Grundschulalter sollten deshalb Kinder die Erfahrung machen können, dass ihre Meinung gehört wird und sie an Entscheidungsprozessen teilhaben können.
Das Institut für Grundschulforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kommt nun zu dem Ergebnis: Kinder wollen und sollten mehr mitreden und damit mehr mitbestimmen dürfen.
Studie untersuchte Kinderperspektive
Das Forschungsteam untersuchte im ersten Schritt die Praxisbedarfe. Der zweite Schritt beleuchtete mit der Teilstudie ‚Kinder reden mit‘ die Kinderperspektive. „Wir forschen am Institut für Grundschulforschung schon seit einigen Jahren in unterschiedlichen Kontexten zur Demokratiebildung mit dem Fokus auf der Mitbestimmung von Kindern im Primarbereich“, erklärt Prof. Dr. Sabine Martschinke, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik mit dem Schwerpunkt Umgang mit Heterogenität. Uns war es wichtig, die jungen Akteure schon im Forschungsprozess direkt zu Wort kommen zu lassen.“
Hier standen Einzelinterviews mit 61 Grundschulkindern einer Nürnberger Grundschule und 22 Gruppendiskussionen mit 173 Kindern im Mittelpunkt. Die Gruppendiskussionen fanden an sechs Grundschulen in Bayern, Hessen und Sachsen statt und wurden mit Hilfe eines Erzähltheaters mit Tierpuppen kindgerecht gestaltet.
Mitplanen, Mitberaten und Mitentscheiden
Die Kinder wurden befragt, welche Mitbestimmungsmöglichkeiten sie wahrnehmen und welche sie sich wünschen. Sie fühlen sich im schulischen Kontext und auch im Unterricht zwar gehört und informiert. Das Mitplanen, Mitberaten und Mitentscheiden dagegen nehmen sie weniger wahr.
„Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen zeigen, dass Kinder sich in den Fächern, bei Themen sowie im Unterricht allgemein mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten wünschen“, sagt Martschinke. „Hier wird explizit der Bedarf nach Mitbestimmung auf der unterrichtlichen Ebene geäußert, gerade auch in Fächern wie Deutsch und Mathematik, bei Hausaufgaben oder auch bei Lernzielkontrollen. Darüber hinaus möchten Kinder auch bei der Gestaltung von Unterrichtsmaterialien eingebunden werden.“
Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen wird es immer wichtiger, Demokratiebildung bereits im Grundschulalter fest zu etablieren, um den Kindern Demokratie vorzuleben, sie daran teilhaben zu lassen und so erfahrbar zu machen. Zur Demokratiebildung gehört auch die Persönlichkeitsentwicklung sowie überfachliche Kompetenzen zu stärken, wie etwa zu kommunizieren, zu argumentieren und Problem zu lösen. Deshalb sollten Mitbestimmung und damit Demokratiebildung fächerübergreifend umgesetzt werden, so die Experten.
„Aus diesen Ergebnissen lassen sich Konsequenzen für Unterricht und Schule ableiten, aber auch für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften“, sagt Martschinke. Im Unterricht brauchen Kinder deutlich mehr und unterschiedliche, qualitätvolle Angebote. Durch diese können sie Demokratiebildung erleben, erfahren und reflektieren. Mitbestimmung muss den gesamten Unterricht in allen Fächern durchziehen und als regelmäßig umzusetzendes, elementares Prinzip verstanden werden.
„Kinder müssen in ihren Bedürfnissen und Ideen ernst genommen werden“
„Kinder müssen dazu zunächst in ihren Bedürfnissen und Ideen ernst genommen sowie auch informiert und gehört werden“, sagt die Grundschulpädagogin Martschinke. „Ihnen muss bewusst gemacht werden, wo, wann und wie sie mitbestimmen können. Dabei erlernen die Kinder das notwendige ‚Handwerkszeug‘ für demokratisches Denken und Handeln.“
Voraussetzung dafür ist, Lehrkräfte für Mitbestimmung zu sensibilisieren und ihnen durch entsprechende Professionalisierung Handlungswissen zu vermitteln., „Ebenso müssen wir Lehrkräften aber auch Mut machen, mit den Kindern – wo möglich – eine Beziehung auf Augenhöhe einzugehen und das Potenzial von Mitbestimmungsmöglichkeiten für Demokratielernen schon in der Grundschule auszuschöpfen“, sagt Martschinke.