Im Kampf um die Präsidentschaft in Frankreich tritt Amtsinhaber Emmanuel Macron wie vor fünf Jahren in einer Stichwahl gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen an. Im der ersten Wahlrunde erhielt der pro-europäische Staatschef am Sonntag Hochrechnungen zufolge zwischen 28 und 29,7 Prozent, während Le Pen 23,2 bis 24,7 Prozent auf sich vereinte. Der Ausgang des in zwei Wochen stattfindenden Duells gilt als wegweisend für die Zukunft Europas.
Die Wahlbeteiligung war niedriger als 2017. Zwischen 26,2 und 29,1 Prozent der Wähler blieben den Urnen fern, deutlich mehr als vor fünf Jahren (22,2 Prozent), ein Zeichen der wachsenden Unzufriedenheit vieler Franzosen mit ihrer politischen Führung.
„Noch ist nichts gewonnen“, sagte Macron am Sonntagabend. Die Debatte in den kommenden zwei Wochen werde „entscheidend für unser Land und für Europa“. Er wolle ein Frankreich, „das Muslimen oder Juden nicht verbietet, zu essen, was ihre Religion ihnen vorschreibt“, betonte er in Anspielung auf islamfeindliche Positionen Le Pens – die sie während des Wahlkampfs jedoch kaum vertreten hatte.
„Das einzige Projekt, das sich um Kaufkraft kümmert, das ist unseres“, fügte er ebenfalls als Reaktion auf Le Pen hinzu, die die finanziellen Sorgen der Franzosen in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt hatte.
Seine Rivalin appellierte an „alle, die nicht für Macron gestimmt haben“, sich ihr anzuschließen. Sie sprach von einem „großen, vereinenden Projekt“. Sie stehe für „Wirtschaftspatriotismus“ und die „Wiederherstellung der staatlichen Autorität“, sagte die Rechtspopulistin vor ihren Anhängern, die „Marine – Präsidentin“ skandierten.
Bei der Stichwahl vor fünf Jahren hatte Macron gegen Le Pen mit 66 Prozent haushoch gewonnen. Dieses Mal gehen die Meinungsforscher von einem deutlich knapperen Ergebnis aus: Erste Umfragen vom Sonntagabend rechneten mit Ergebnissen von 51 zu 49, aber auch 54 zu 46 Prozent.
In den Augen vieler gemäßigter Europäer würde ein Wahlsieg Le Pens ein drittes politisches Erdbeben in der westlichen Welt bedeuten, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Le Pen hatte im Wahlkampf für eine Kehrtwende in der Europapolitik plädiert und will unter anderem die gemeinsame Verteidigung aufkündigen. Die wegen des Ukraine-Kriegs geschmiedete Allianz westlicher Staaten gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre gefährdet.
Ein Sieg Macrons hingegen würde in vielen Regierungszentralen Europas für ein Aufatmen sorgen, dass die Gefahr des Populismus in Frankreich einmal mehr gebannt wäre. Europapolitisch würde Macron sein Programm fortsetzen, das er seit Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft verfolgt, insbesondere den Ausbau der gemeinsamen Verteidigung.
Mehrere unterlegene Kandidaten riefen noch am Abend zur Wahl des sich zur politischen Mitte bekennenden Amtsinhabers auf, „um den Rechtsextremismus zu stoppen“. Aus dem linken Lager appellierten der grüne Kandidat Yannick Jadot, die Sozialistin Anne Hidalgo und der kommunistische Kandidat Fabien Roussel an ihre Anhänger, in der zweiten Runde für Macron zu stimmen.
Auch der drittplatzierte Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon rief zur Wahl Macrons auf. Umfragen zufolge könnte ein Teil seiner Wähler in der Stichwahl allerdings für Le Pen stimmen. Die rechtskonservative Kandidatin Valérie Pécresse kündigte an, dass sie selber ihre Stimme Macron geben werde, verzichtete aber auf einen Appell an ihre Anhänger. Der mit sieben Prozent abgeschlagene rechtsextreme Publizist Eric Zemmour, der Le Pen zeitweise in den Umfragen überholt hatte, gab seinen Anhängern die Empfehlung, „für Marine Le Pen zu stimmen“.
Jadot und Pécresse kommen nach den Hochrechnungen auf jeweils knapp fünf Prozent und müssen um die staatliche Rückerstattung ihrer Wahlkampfkosten fürchten. Die Sozialistin und Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo fährt mit etwa zwei Prozent das historisch schlechteste Ergebnis in der Geschichte der ehemaligen Volkspartei ein.