Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat 20 Jahre nach Inbetriebnahme des US-Gefangenenlagers Guantanamo die anhaltenden Menschenrechtsverstöße gegen die dort inhaftierten Insassen verurteilt. Die Haftanstalt auf einer US-Militärbasis in Kuba sei ein „rechtloser Ort“, sagte der Amerika-Experte bei Amnesty International in Deutschland, Matthias Schreiber, der Nachrichtenagentur AFP. „Wenn die USA wirklich Glaubwürdigkeit als Verteidigerin der Menschenrechte wiedererlangen wollen, müssen sie das Lager schließen.“
Das Lager stehe „ganz exemplarisch für die unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die die USA seit der Ausrufung des globalen ‚Kriegs gegen den Terror‘ 2001 begangen haben“. Guantanamo stelle einen „gefährlichen Präzedenzfall“ dar, sowohl mit Blick auf fehlende rechtsstaatliche Verfahren „als auch mit Blick auf Straflosigkeit bei schwersten Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verschwindenlassen“.
Die Gefangenen hätten bis heute keinen Zugang zu „fairen, rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren“ vor US-Zivilgerichten, sagte Schreiber. Ein Großteil der seit dem 11. Januar 2002 dort Inhaftierten sei vom US-Auslandsgeheimdienst CIA oder Vertretern anderer US-Behörden nachweislich gefoltert worden. Schreiber beklagte außerdem, dass die Insassen keinen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung hätten. „Viele haben psychische Beeinträchtigungen, die oft eine direkte Folge von Folter sind, die sie erlitten haben.“
US-Präsident Joe Biden habe 2009 als Stellvertreter des damaligen Präsidenten Barack Obama versprochen, das Lager zu schließen. „Er hat jetzt die Möglichkeit, sein Versprechen einzulösen“, sagte Schreiber. Bidens Regierung müsse der Schließung des Lagers „eine viel höhere Priorität einräumen“ und einen konkreten Plan vorlegen.
Der Amnesty-Experte forderte mehr internationalen Druck auf die US-Regierung und appellierte dabei auch an Deutschland: „Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung Guantanamo und die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen weiter auf der Agenda hält und von der neuen US-Regierung deutlich und unmissverständlich einfordert, dass das Lager geschlossen werden soll“. Deutschland habe in der Vergangenheit drei Guantanamo-Insassen aufgenommen. „Und hier könnte eine Überlegung sein zu prüfen, ob die Bundesrepublik die US-Regierung auch auf diese Weise unterstützen könnte.“
Zudem müssten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Lager in Guantanamo aufgearbeitet und in den USA strafrechtlich verfolgt werden. „Es ist skandalös, dass das bis heute nicht passiert ist“, sagte Schreiber. Ehemalige Gefangene hätten vor Gericht über die erlittene Folter ausgesagt, zudem gebe es einen Bericht des Geheimdienstausschusses des US-Senats aus dem Jahr 2014 über illegale Foltermethoden. „Es gibt sogar Aussagen von ehemaligen Vertretern von US-Behörden, die selbst zugeben, gefoltert zu haben.“ Dennoch sei bis heute keiner der Verantwortlichen vor Gericht gestellt worden. „Das ist skandalös.“
Die US-Regierung hatte das Gefangenenlager Guantanamo nach den Terroranschlägen in New York und Washington mit fast 3000 Todesopfern eingerichtet. Die ersten Gefangenen wurden zunächst in Käfigen im Freien eingesperrt. Nach dem Ausbau des Lagers erhöhte sich die Zahl der Insassen auf 780. Derzeit befinden sich noch 39 Häftlinge in dem Lager.
Im Laufe der Jahre wurde Guantanamo für die US-Regierung immer mehr zu einer Belastung: Das Lager und die dortigen Sondertribunale wurden zum Sinnbild für die Exzesse des Anti-Terror-Kampfes der USA. Der frühere US-Präsident Obama versuchte in seiner Amtszeit vergeblich, das Lager zu schließen. Biden ist darum bemüht, die unter seinem Vorgänger Donald Trump eingestellten Freilassungen von nicht mehr als gefährlich eingestuften Insassen voranzutreiben. Im Juli war ein Gefangener an die Behörden seines Heimatlandes Marokko übergeben worden.