Mit dem Hubschrauber wurde er letzten Endes doch nicht eingeflogen, doch allein die Sicherheitsvorkehrungen am Landgericht Köln verraten, dass ein kriminelles Schwergericht im Haus ist: Wer zum Prozess gegen den Reemtsma-Entführer Thomas Drach möchte, muss außergewöhnlich viele Schleusen passieren, sich durchleuchten und durchsuchen lassen. Seit Dienstag muss sich der 61-Jährige mit seinem mutmaßlichen Mittäter Eugen W. wegen vier bewaffneter Überfälle auf Geldtransporte verantworten. Ihm droht eine Verurteilung wegen versuchten Mordes.
Gleich zu Beginn des Verfahrens sorgt Drach für Aufsehen: Minutenlang bleibt er abgeschirmt von seinen Verteidigern hinter seinem Platz an der Anklagebank stehen und wendet den Kamerateams und Fotografen den Rücken zu, bis sie den Saal verlassen. Nur einmal dreht er sich halb um und winkt in Richtung der Zuschauer.
Die Staatsanwaltschaft legt Drach in zwei Anklagen insgesamt vier Raubüberfälle auf Geldtransporte zur Last. Die Taten soll der bereits mehrfach Vorbestrafte zwischen März 2018 und November 2019 begangen haben. Dem ersten Anklagevorwurf zufolge überfiel er mit Waffengewalt Geldboten von Sicherheitsunternehmen in Köln, am Flughafen Köln-Bonn und in Frankfurt am Main, wobei er das transportierte Bargeld stahl.
In den ersten beiden Fällen soll Drach mit einem Sturmgewehr des Typs AK-47 bewaffnet gewesen sein, im dritten Fall soll er einen Revolver verwendet haben. Unter Rufen wie „Hände hoch! Geld her!“ oder „Geld, Geld, Geld!“ soll er die jeweils zu zweit arbeitenden Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten immer nach demselben Muster überrascht und unter vorgehaltener Waffe zur Übergabe des gerade abgeholten Geldes gezwungen haben.
In Köln und Frankfurt galten die Überfälle den Tageseinnahmen zweier Ikea-Filialen. Bei dem Überfall am Flughafen Köln-Bonn wurden für die Gepäckstationen vorgesehene Münzgelder entwendet. Der Beuteschaden in den drei Fällen lag bei insgesamt 141.831 Euro. Sowohl am Flughafen Köln-Bonn als auch in Frankfurt soll Drach auf jeweils einen Sicherheitsmitarbeiter geschossen haben und beide schwer verletzt haben.
In einer zweiten Anklage wird Drach eine Tat auf einem Supermarktparkplatz in Limburg zur Last gelegt, wo er einen Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma mit einem Sturmgewehr bedroht und ihm einen Geldkoffer mit 89.850 Euro und seinen Revolver abgenommen haben soll. Der mitangeklagte 53-jährige niederländische Staatsbürger W. muss sich unter anderem wegen Beihilfe verantworten. Er soll etwa Fluchtwagen angemietet und gefahren haben.
Zum Prozessauftakt schweigt Drach zu den Vorwürfen. Auch sein mutmaßlicher Komplize machte von seinem Schweigerecht Gebrauch.
Der erste Verhandlungstag ist geprägt von zahlreichen Verzögerungen. Als der Prozess mit einstündiger Verspätung beginnt, wird er gleich wieder unterbrochen, weil der mitangeklagte Eugen W. über Kopfschmerzen klagt. Nach der Mittagspause lässt Drach eine gute Dreiviertelstunde auf sich warten. Die Verteidiger bringen ihrerseits zahlreiche Anträge vor, die den Beginn der Beweisaufnahme ebenfalls verzögern und sich weit in den Nachmittag ziehen.
Für Drach steht neben einer Haftstrafe auch eine anschließende Sicherungsverwahrung im Raum. Grund dafür ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft sein „Hang zu gewalttätigen Straftaten“, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Drach gilt seit der Entführung des Mäzens Jan Philipp Reemtsma im Jahr 1996 als einer der gefährlichsten Schwerverbrecher Deutschlands.
Die Entführer um Drach brachten den Erben der Tabakdynastie am 25. März 1996 in ihre Gewalt und hielten ihn 33 Tage lang angekettet im Keller eines Landhauses bei Bremen gefangen. Am 26. April 1996 kam Reemtsma gegen Zahlung eines Lösegelds in zweistelliger Millionenhöhe frei. Für die Tat wurde Drach nach einer Flucht nach Argentinien im Jahr 2000 zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Im Oktober 2013 kam er frei.
Für das aktuelle Verfahren sind zunächst 53 Verhandlungstage bis Ende September angesetzt, zu erwarten ist laut den Beteiligten jedoch eine „deutlich längere“ Verfahrensdauer. Zumindest der langwierige Prozessauftakt spricht dafür.