Die Europäische Kommission stuft Atomenergie und Gas als nachhaltig ein – und stößt damit zum Teil auf massiven Widerstand. Österreich kündigte am Mittwoch eine Klage gegen die Aufnahme von Atom und Gas in die sogenannte Taxonomie-Verordnung an. Auch die Bundesregierung hatte sich gegen die Aufnahme der Atomkraft stark gemacht. Anders als Österreich hatte sie der Einstufung von Gas aber zugestimmt.
Die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte, der Rechtstext der Kommission sei „vielleicht nicht perfekt“, er biete aber „eine echte Lösung“ für das Ziel der EU, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Die Kommission will damit Milliarden-Investitionen in „grüne“ Energieträger lenken und einen Anreiz für private Investoren bieten. Nach Angaben der Kommission sind jährliche Investitionen von 350 Milliarden Euro nötig.
Atomenergie und Gas seien zwar „an sich nicht grün, aber sie ermöglichen den Übergang zu erneuerbaren Energien“, hieß es von Kommissionsexperten. Die EU-Kommission geht davon aus, dass erneuerbare Energien zum jetzigen Zeitpunkt den steigenden Strombedarf in der EU nicht decken könnten.
Den stärksten Widerstand gab es am Mittwoch von der österreichischen Regierung. Diese kündigte an, gegen die Einstufung von Atom und Gas zu klagen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sagte, ihr Ministerium werde in den kommenden Wochen „alle rechtlichen Schritte vorbereiten“ und bei einem Inkrafttreten des Kommissionsbeschlusses beim Europäischen Gerichtshof „mit einer Nichtigkeitsklage dagegen vorgehen“.
Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schrieb im Onlinedienst Twitter, er könne „die Entscheidung der EU nicht nachvollziehen“ und sicherte Gewessler „volle Unterstützung“ zu. Ähnlich sehen es auch die Abgeordneten von SPD, Grünen und der Linken im Europaparlament. Sie kündigten an, sich gegen den Beschluss der EU-Kommission stark zu machen. Es drohten „über Jahre und Jahrzehnte Investitionen in umwelt- und klimafeindliche Technologien“, erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen.
In Berlin bekräftigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in einer ersten Stellungnahme: „Wir sind dagegen, dass Atomkraft als nachhaltig eingestuft wird.“ Die Bundesregierung werde die Brüsseler Vorlage nun „sehr genau“ prüfen.
In Deutschland hatten vor allem die Grünen in der Ampel-Koalition in Berlin erfolglos gegen das Nachhaltigkeitssiegel für Atomkraft protestiert. Die Bundesregierung setzte sich aber für Gas als sogenannte Brückentechnologie ein. Sie erreichte, dass die Kriterien für „nachhaltiges“ Gas sogar noch gelockert werden. Verbindliche Zwischenschritte bis zu dem Ziel, die Gasproduktion bis 2035 weitgehend kohlenstofffrei zu machen und dafür etwa auf klimafreundlicheren Wasserstoff umzustellen, strich die EU-Kommission aus ihrem endgültigen Beschluss.
Der Industrieverband BDI begrüßte diese Entscheidung. Es sei „richtig“, dass die EU-Kommission die „Auflagen für neue Gaskraftwerke mit Blick auf ihre Wasserstofftauglichkeit zeitlich lockert“. Nur so lasse sich der „Aufbau von Gaskraftwerken als Brückentechnologie“ auf dem Weg zur Klimaneutralität stemmen.
Massive Proteste gegen den Taxonomie-Beschluss gibt es dagegen von Umweltorganisationen. Greenpeace etwa bezeichnete ihn als „größtes Greenwashing aller Zeiten“. Die Umweltschützer befürchten, dass Investitionen in fossile Brennstoffe statt in erneuerbare Energien fließen.
Theoretisch können die Mitgliedstaaten oder das Europaparlament das geplante Inkrafttreten der neuen Regeln 2023 noch verhindern. Allerdings gilt dies wegen der hohen Hürden als schwierig. Da es sich um einen sogenannten delegierten Rechtsakt handelt, müssten mindestens 20 Mitgliedstaaten dagegen stimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen. Auch eine absolute Mehrheit im Europaparlament könnte ein Inkrafttreten der Regeln verhindern.