Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat der Bundesregierung vorgeworfen, sein Land bereits aufgegeben und harte Sanktionen gegen Russland verhindert zu haben. Melnyk sagte am Donnerstagabend im Sender Bild TV, bei Gesprächen mit deutschen Regierungsvertretern am selben Tag sei ihm „ganz direkt ins Gesicht“ gesagt worden: „Euch bleiben nur ein paar Stunden.“ Der Botschafter widersprach dieser Einschätzung nachdrücklich: „Sorry, es ist noch zu früh, die Ukraine abzuschreiben.“
Melnyk beklagte sich weiter darüber, es gebe an diesem Tag „keine einzige gute Botschaft aus Berlin, wie uns geholfen werden kann“. Er warf der Bundesregierung eine Blockadehaltung vor: „Der Eindruck ist, dass die Bundesregierung zu den wenigen Ländern innerhalb der EU gehört, die das gerade blockieren oder bereits blockiert haben in Brüssel.“ Das sei beispielsweise beim diskutierten Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem Swift so, aber auch bei möglichen Embargos gegen Rohstoffe aus Russland habe er die Information, „dass die Deutschen diese Forderung nicht unterstützt haben, vor allem, was die Kohle betrifft.“
Nach Angaben aus Diplomatenkreisen herrschte über einen möglichen Ausschluss Russlands aus dem Swift-Finanzverfahren jedoch Uneinigkeit. Der Schritt gilt als eine der härtesten möglichen Maßnahmen, weil er verheerende Folgen für die russische Wirtschaft hätte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich in dieser Frage zurückhaltend. Es sei nötig bestimmte Strafmaßnahmen für den Fall zurückzuhalten, dass die Lage noch weiter eskaliere, sagte er vor den Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag.
Die „Financial Times“ hatte berichtet, Scholz sei gegen den Swift-Ausschluss, da er auch negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hätte. In einem der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden Entwurfspapier für die am Dienstag formell zu beschließenden Sanktionen ist die Maßnahme nicht aufgeführt.
Russische Truppen waren am Donnerstag binnen weniger Stunden bis in den Großraum Kiew vorgerückt. Nach ukrainischen Angaben starben mindestens 130 Menschen und hunderte wurden verletzt, darunter zahlreiche Zivilisten.