Einen Monat nach dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu weltweiten Protesten gegen den Krieg aufgerufen. „Die Welt muss den Krieg stoppen“, sagte ein sichtlich erschöpfter Selenskyj in einer in der Nacht zum Donnerstag veröffentlichten Videobotschaft. Er warf Russland den Einsatz von Phosphorbomben in der Ukraine vor.
Durch den ukrainischen Widerstand war der Vormarsch der russischen Truppen zuletzt an vielen Stellen gestoppt worden, nach ukrainischen Angaben konnten die Angreifer rund um die Hauptstadt Kiew sogar zurückgedrängt werden. Der Beschuss zahlreicher Städte wurde aber fortgesetzt.
„Geht mit ukrainischen Symbolen auf die Straße, um die Ukraine zu verteidigen, um die Freiheit zu verteidigen, um das Leben zu verteidigen“, sagte Selenskyj in dem in leeren Straßen Kiews aufgenommenen Video. „Dies ist ein Krieg für die Unabhängigkeit, und wir müssen ihn gewinnen.“ Die Ukraine werde so lange kämpfen, wie es nötig sei.
Zugeschaltet zum Nato-Gipfeltreffen in Brüssel warf Selenskyj Russland vor, Phosphorbomben einzusetzen. Behördenvertreter aus der Ostukraine hatten diese Vorwürfe in den vergangenen Tagen wiederholt erhoben. „Die Russen haben Probleme, sie kommen nicht voran“, sagte der ukrainische Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gayday. Deshalb hätten sie angefangen „schwere“ Waffen wie Phosphorbomben einzusetzen. In der Stadt Rubischne seien bei einem solchen Angriff mindestens vier Menschen getötet worden, darunter zwei Kinder.
Westliche Militärvertreter berichteten unterdessen von Geländegewinnen der ukrainischen Streitkräfte. Nach Angaben eines Pentagon-Vertreters gelang es den Verteidigern im Osten von Kiew, die russischen Truppen binnen 24 Stunden mehr als 30 Kilometer zurückzudrängen. Zuvor hatte bereits der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, erklärt, dass ukrainische Streitkräfte „die kleine Stadt Makariw und fast ganz Irpin“ im Westen wieder unter ihrer Kontrolle hätten. Der britische Militärgeheimdienst sah die „realistische Möglichkeit“, dass russische Einheiten dort eingekesselt werden könnten.
Dem Pentagon-Vertreter zufolge konzentriert die russische Armee sich inzwischen verstärkt auf die Ostukraine. Demnach verfolgt das russische Militär offenbar die Strategie, die entlang der früheren Frontlinie zu den pro-russischen Separatisten-Gebieten stationierten ukrainischen Streitkräfte zu „binden“, damit sie „nicht anderswo eingesetzt werden können“.
Die ukrainische Marine meldete derweil die Zerstörung des russischen Kriegsschiffs „Orsk“ im Hafen von Berdjansk, was sich jedoch nicht verifizieren ließ. Nach russischen Angaben war der Truppentransporter am 21. März als erstes Schiff der Schwarzmeerflotte in der eingenommenen ukrainischen Hafenstadt eingelaufen und brachte gepanzerte Fahrzeuge in die Ukraine.
Berdjansk liegt südwestlich der seit Wochen belagerten Stadt Mariupol am Asowschen Meer. Die kleinere Hafenstadt war wie das weiter westlich gelegene Cherson kurz nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar von russischen Truppen eingenommen worden. Nach US-Angaben nutzt die russische Marine den Hafen zum Auftanken ihrer Schiffe.
In Mariupol, das seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnitten ist und heftig beschossen wird, blieb die Lage dramatisch. Nach Angaben der Stadtverwaltung wurden Patienten im Keller des größten Krankenhauses der Stadt bei Kerzenlicht behandelt, um Treibstoff zu sparen. Nach Angaben der ukrainischen Regierung sitzen noch rund 100.000 Menschen in der weitgehend zerstörten Stadt fest.
Nach UN-Schätzungen wurden alleine in Mariupol tausende Zivilisten getötet. Landesweit sind mehr als zehn Millionen Menschen vor dem Krieg geflohen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerk Unicef sind 4,3 Millionen Kinder und damit mehr als die Hälfte der ukrainischen Kinder auf der Flucht. Rund ein Drittel der Kriegsflüchtlinge hat die Ukraine verlassen, die meisten von ihnen befinden sich in Polen.
Zudem wurden zehntausende Soldaten getötet oder verwundet. Angaben der Kriegsparteien zu eigenen Verlusten gibt es kaum. Nach Nato-Angaben könnten auf der russischen Seite bis zu 15.000 Soldaten getötet und weitere 25.000 verwundet oder gefangen worden sein.