Nein, die Ausgangssperre in Bayern gilt nicht für Balkone und Gärten

Die bayerische Regierung habe den Aufenthalt auf dem eigenen Balkon und im Garten nach 22.00 Uhr verboten. Das soll ein Zeitungsartikel über die Corona-Ausgangssperren im Bundesland bekräftigen, den Hunderte Facebook-User seit Mitte April 2021 geteilt haben. Allerdings: Weder ist in dem Artikel von einem solchen Verbot die Rede, noch hat das bayerische Innenministerium es ausgesprochen.

Rund 860 Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer haben seit dem 16. April die Aufnahme eines Zeitungsartikels geteilt, der das Verbot zeigen soll (hierhier). Darin werden Informationen zur Ausgangssperre in Bayern zusammengefasst. Am Ende des Texts ist ein Satz farbig hervorgehoben: „In bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen dauerhaft eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, ist nach geltendem Recht von 22 Uhr bis 5 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung (und dem dazugehörigen Garten oder Balkon) untersagt.“

In den Posting-Texten zur Aufnahme heißt es dazu: „Wenn du dich nach 21:00 Uhr nicht einmal mehr auf dem eigenen Balkon aufhalten darfst, dann kannst du mit Fug und Recht behaupten, in einer Diktatur zu leben!“ Ein anderer User schreibt: „Hallo, bin im Garten und strecke grade den Mittelfinger in die Luft… (…) Das ist keine Hassrede sondern normaler Menschenverstand und Grundrecht!“

Facebook-Screenshot: 19.04.2021

Die Ausgangssperren als Teil der Pandemie-Eindämmungsstrategie werden in Deutschland aktuell kontrovers diskutiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am 16. April im Bundestag für ein Maßnahmen-Paket als „dringende Notbremse“ in der Corona-Pandemie ausgesprochen (hier). Opposition und Teile der Öffentlichkeit kritisierten die Ausgangssperren daraufhin als nicht zielführend. Der Druck auf die Koalition aus CDU/CSU und SPD wurde so groß, dass sie schließlich die Rahmenbedingungen der geplanten Ausgangssperren wieder lockerte (hierhierhier). Eine Entscheidung über die „Notbremse“ fällt der Bundestag am 21. April. Ein Verbot, den Balkon oder Garten zu betreten, würde in eine solche Diskussion passen. Es gab aber keins.

Die Postings nennen keine Quelle für den Zeitungsartikel. Auch Nutzerinnen und Nutzer fragen in den Kommentarspalten danach. AFP hat deshalb bei allen Lokalzeitungen aus Unterfranken in Bayern mit blauem Layout nach dem Urheber des Artikels gefragt. Andreas Kemper, Mitglied der Chefredaktion der „Main-Post„, bestätigte in einer E-Mail am 19. April, dass der Artikel auf der Titelseite der Ausgabe vom 15. April erschienen ist. AFP liegt eine PDF der Zeitungsseite vor. Darauf ist der Text wortgleich zu lesen.

Screenshot der Main-Post-Titelseite vom 15.04.2021: 19.04.2021

Quelle für den Artikel sei ein FAQ des Bayerischen Innenministeriums, schreibt Kemper. Die Balkon-Formulierung sei demnach eine Umformulierung zu einer Anmerkung zur Ausgangssperre in eben diesem FAQ. Dort heißt es: „Hinweis: Vom Begriff der Wohnung erfasst sind auch privat genutzte Gärten, Terrassen und Balkone.“ Diese Orte bezieht Bayern also ausdrücklich in den Wohnungsbereich ein. Die Ausgangssperre gilt hier nicht. 

Eine Facebook-Seite, die zu den größten Verbreitern des Artikels gehört, behauptet außerdem fälschlicherweise, dass die Ausgangssperre bereits um 21.00 Uhr beginne. Im Artikel und im FAQ des Ministeriums steht aber 22.00 Uhr. 

Was meinte die „Main-Post“ denn nun mit dem Artikel?

Tatsächlich kann man den Satz in dem Artikel auch so verstehen, dass der in Klammern gesetzt Hinweis auf Garten und Balkon deutlich machen soll, das beides zur Wohnung dazu gehört.

AFP hat auch mit dem Redakteur telefoniert, der die Zusammenfassung der Ausgangssperre geschrieben hat. Am 19. April zeigte er sich erstaunt über die Interpretation auf Facebook und erklärte, dass keineswegs eine Ausgangssperre für Balkone und Gärten gemeint gewesen sei. 

Weiter sagte er: „Ja, man kann die Formulierung, wenn man will, missverstehen. Es ist vielleicht zu sehr verkürzt.“ Er ergänzte: „Das ist ein Beispiel dafür, wie mutwillig von den sogenannten Querdenkern Nachrichten gekapert und instrumentalisiert werden.“

Auch mehrere Nutzerinnen und Nutzer wiesen bereits in den Kommentarspalten der Facebook-Postings auf eine mögliche Fehlinterpretation hin. So kommentierte eine Nutzerin etwa: „Das mit dem Garten wird oft falsch verstanden, denn der Text sagt: Der Aufenthalt ist erlaubt, in der Wohnung und im eigenen Garten oder Balkon. Alles außerhalb nicht.“

In der Vergangenheit prüfte AFP bereits mehrfach solche missverstandene Formulierungen, die zu falschen Behauptungen in sozialen Netzwerken führten. So etwa eine Videopanne im ZDF, die eine vermeintliche „Shutdown-Lüge“ aufgedeckt haben soll. Auch ein Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts über 223 Todesfälle durch Corona-Impfungen und eine Datenbank der EMA zum selben Thema wurde bereits falsch interpretiert.

Fazit: Der auf Facebook verbreitete Artikel stammt aus der Tageszeitung „Main-Post“ aus Bayern. Er fasst ein FAQ zu den Ausgangssperren des Bayerischen Innenministeriums korrekt, aber an einem Punkt missverständlich zusammen. Die Schlussfolgerung, dass nach 21.00 Uhr der Aufenthalt auf dem eigenen Balkon verboten sei, ist falsch.

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