Nein, Ethylenoxid in Corona-Tests stellt keine Gefahr dar

Corona-Test
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Tausende User auf Facebook und Hunderttausende auf Telegram haben seit März eine Behauptung geteilt, wonach krebserregendes Ethylenoxid in Corona-Tests enthalten sei. Als Beweis diene die Bezeichnung „Sterile EO“, die auf Testpackungen zu finden ist. Viele Tests werden tatsächlich mit Ethylenoxid desinfiziert. Das Gas verflüchtigt sich aber wieder und ist nicht im Endprodukt enthalten. Selbst geringe Restwerte, die in Deutschland streng überprüft werden, wären außerdem nicht gefährlich.Der vermeintlich alarmierende Vermerk „EO“ steht auf der Packung zahlreicher Corona-Tests. Tausende User haben seit Ende März Bilder davon auf Facebook geteilt (hierhierhierhier). Auf Telegram sahen Hunderttausende die Aufschrift mit den Worten: „Sterile EO“ (hierhierhier). EO steht für Ethylenoxid – ein nachweislich hochgiftiges und krebserregendes Gas (hierhier). Viele befürchten aktuell: Es könnte in Corona-Tests vorhanden sein.

Zuvor hatte ein Youtube-Video aus Großbritannien genau diese Sorge befeuert. „Schauen Sie hier, es steht auf der Packung“, sagt ein Mann mit Sonnenbrille darin: „Desinfiziert mit Ethylenoxid (…) die Spitzen der Tests werden mit Ethylenoxid desinfiziert.“ Er führt aus: „Wenn ihr jetzt Ethylenoxid googelt, seht ihr: Es handelt sich um die krebserregendste Chemikalie, die cancerresearch.com aufführt.“

Deutschsprachige Postings kopieren den Aufruf. Dort heißt es etwa: „HOCHGIFTIG – VERURSACHT KREBS, Hirntumore, Leukämie, LYMPHOMEN… Erste Symptome: Kopfschmerzen, Schwindel etc. Ihr müsst mir das nicht glauben – schaut selber auf der Rückseite der Verpackung nach und googelt dann…“

Facebook-Screenshot: 29.03.2021

Sowohl der PCR-Test als auch der gasförmige Stoff Ethylenoxid dienen immer wieder als Ziel von Falschbehauptungen. So würden die Tests angeblich Corona- und Grippe-Viren verwechseln, seien nicht zugelassen oder könnten Infektion nicht erkennen. Das giftige Ethylenoxid, so hieß es in der Vergangenheit, sei in den Corona-Impfungen von Biontech/Pfizer enthalten. Auch die irreführende Aussage über EO in Corona-Tests gehört in diese Reihe.

Sie beruht auf einem tatsächlich existierenden Vorgang während der Produktion von medizinischen Hilfsmitteln: Viele Hersteller sterilisieren ihre Tests mit Ethylenoxid, daher kommt auch der Aufdruck auf den Packungen. EO ist ein sogenanntes Alkylierungsmittel. Dabei handelt es sich um ein Gas, das es Mikroorganismen unmöglich macht, sich zu reproduzieren. Es durchdringt luftdurchlässige Verpackungen und sterilisiert alle zugänglichen Oberflächen des Produkts. Seit Jahren kommt das EO-Gas bei zahlreichen Medizinprodukten wie etwa Kathetern oder Wundverbänden zum Einsatz und gilt als Alternative zur Sterilisierung mittels Bestrahlung.

Aber kann giftiges EO im Produkt verbleiben?

AFP hat zunächst beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach der Behauptung gefragt. Am 26. März schrieb Sprecher Maik Pommer: Alle Hersteller, die in Deutschland verkaufen wollen, müssten im Zuge einer sogenannten Konformitätsbewertung die Sicherheit ihrer Produkte nachweisen. Auch die Sterilisierung von Tests folge „strengen Vorgaben, die in Protokollen festgehalten werden – beispielsweise Entgasungszeit bei der Sterilisation mit Ethylenoxid“. Diese wiederum kontrollierten unabhängige Prüfstellen wie der TÜV.

Auch dort fragte AFP nach. Sprecher Ralf Diekmann vom TÜV Rheinland schrieb am 29. März in einer E-Mail: „Die Sterilisation durch EO ist eine Standardmethode im Medizinprodukte-Bereich, die auch gerade bei Abstrichbürsten aus Kunststoff eine Standardmethode ist.“ Der TÜV überprüfe dabei „das notwendige ‚Ausgasen‘ auf einen maximalen EO-Restgehalt, der dann ungefährlich für den Anwender bzw. Patienten sein muss“, schrieb Diekmann. Auch ein Sprecher des TÜV Süd bestätigte am Telefon gegenüber AFP am 29. März: „Als Gas verdampft Ethylenoxid so schnell, dass keine Überreste in den Stäbchen zurückbleiben können, die in irgendeiner Form gefährlich sind. Das wird regelmäßig überprüft.“

Die erlaubten Restwerte an EO legt die europaweit einheitliche „EN ISO 11135„-Norm fest (auch hier aufgeführt). AFP hat auch bei zugelassenen Testvertreibern nach dem Verfahren gefragt. Am 30. März verwies etwa Sprecher Philipp Grontzki von Siemens Healthcare auf die CE-Kennung zugelassener Corona-Tests in der Europäischen Union. In diesem Rahmen würden Testhersteller sogenannte „Safety Sheets“ erstellen, in denen sie eventuelle Verunreinigungen Ethylenoxid aufführen würden. AFP hat zahlreiche solcher Sheets durchgesehen (etwa hierhierhier). EO-Rückstände tauchen darin nicht auf.

Sprecherin Sabrina Maniscalco von Aesku, Hersteller eines von ALDI vertriebenen Antigentests, schrieb am 1. April außerdem an AFP: „Es ist richtig, dass Ethylenoxid bei der Sterilisierung unserer Teststäbchen zum Einsatz kommt.“ Das sei zwingend notwendig, um Bakterien, Viren und Pilze abzutöten. „Nur so können Infektionen der Testpersonen verhindert und ein eindeutiges Testergebnis garantiert werden“, schrieb Maniscalco. Außerdem durchdringe Ethylenoxid luftdurchlässige Verpackungen. Behauptungen etwa, dass Wattestrukturen der Stäbchen es für EO-Gas schwerer machten abzudampfen, seien deshalb nicht nachvollziehbar. Die Sprecherin erklärte außerdem: „Ethylenoxid verfügt nur über eine kurze Halbwertszeit. Eine Aufnahme von 4mg Ethylenoxid ist nach 7,5 Stunden nicht mehr nachweisbar. Eine Anreicherung im menschlichen Körper durch die Nutzung unserer Schnelltests – selbst bei täglicher Anwendung – ist deshalb ausgeschlossen.“

Die wissenschaftliche Einschätzung

AFP fragte am 26. März Annette Beck-Sickinger nach dem Ethylenoxid. Sie leitet die Forschungsgruppe Biochemie und Bioorganische Chemie am zugehörigen Institut der Universität Leipzig. In einer E-Mail schrieb sie: „Wenn man die Teststäbchen mit EO behandelt hat und es dann steril verpackt, dann ist die Verpackung normalerweise für das Gas durchlässig.“ Das wiederum bedeute, dass die Hersteller das Gas problemlos wieder abpumpen, Bakterien aber nicht mehr in die Verpackung gelangen können.

Dieser Prozess funktioniere deshalb, weil das gasförmige EO nicht an den Bürstchen hängen bleibe. „Damit sind alle Geschichten, dass Testen ‚Krebs‘ auslöst, wirklich unbegründet“, erklärte Beck-Sickinger. Der Rauch von Zigaretten etwa sei um ein Vielfaches gefährlicher, als es ein Corona-Teststäbchen je sein könnte.

Das bestätigt auch Andreas Battenberg, Chemiker und Sprecher der Technischen Universität München. Er sagte zu AFP: „Unter anderem durch mehrfaches Belüften muss sichergestellt werden, dass das Ethylenoxid wieder vollständig aus dem Medizinprodukt entfernt wird.“ Dies sei in Deutschland der Fall und werde im Zuge der Zulassung streng von den zuständigen staatlichen Prüfstellen überwacht.

AFP fragte den Infektiologen Christian Ruef, der in der Vergangenheit wissenschaftliche Artikel in Bezug auf EO beim schweizerischen Verband der Betriebsärzte im Gesundheitsdienst (SOHF) veröffentlicht hatte. Darin übte er auch Kritik an der Anwendung von EO. Den aktuellen Behauptungen aber widersprach er gegenüber AFP. Am 30. März schrieb Ruef: „Es gibt präzise Vorschriften, wie das Verfahren ablaufen muss, inklusive der Einhaltung von Auslüftungszeiten.“ Außerdem sei der Kontakt von Teststäbchen mit der Nasenschleimhaut „sehr kurz (Sekunden). Hinzu kommt, dass diese Stäbchen nach Produktion mit Sicherheit längere Zeit (mindestens Tage) nicht verwendet werden (Lagerung in der Firma, Transport, Lagerung), sodass kein Ethylenoxid mehr auf den Stäbchen vorhanden sein wird.“

Beweisen Sesamsamen das Gegenteil?

Verschiedene Postings  zu der Ethylenoxid-Behauptung (etwa hier) argumentieren zusätzlich, dass eine bundesweite Risikobewertung von EO-belasteten Sesamsamen aus Indien Ende 2020 bewiesen habe, dass Ethylenoxid durchaus haften bleiben könne und sich nicht verflüchtige. „Das Ethylenoxid in den Sesamsamen hatte während seiner langen Reise von Indien nach Deutschland offenbar nicht genug Zeit, um sich vollständig zu verflüchtigen. Sonst wäre diese Rückrufaktion nicht notwendig gewesen“, heißt es. 

Dazu sagt BfArM-Sprecher Pommer: „Bedenken Sie bei solchen Vergleichen immer, dass es im Lebensmittelbereich um Produkte in vergleichsweise größeren Mengen geht, die zudem auch vollständig verzehrt, also vom Körper komplett aufgenommen (= gegessen) werden. Insofern sind solche direkten Vergleiche zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie Lebensmitteln meist wenig belastbar“, erklärte Pommer.

Eine weitere Antwort findet sich im in der angesprochenen Risikobewertung selbst. Dort steht unter Absatz 3.3, dass nicht das EO selbst das Risiko darstelle, sondern dass sich speziell in Lebensmitteln wegen der Anwesenheit von Chlorid-Salzen eine weitere Verbindung ergeben könne: Giftiges Chlorethanol. Konkret heißt es: „Während zu erwarten ist, dass die Rückstände von Ethylenoxid in Lebensmitteln aufgrund des hohen Dampfdruckes und der hohen Reaktivität vergleichsweise gering sind und sich bei Erhitzungsprozessen während der Lebensmittelverarbeitung weiter vermindern, trifft dies nicht in gleichem Maße auf 2-Chlorethanol-Rückstände zu.“ Ein Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung bestätigte dann auch am 31. März gegenüber AFP: „Wer unsere Bewertung richtig liest, kann das hier auftauchende Problem mit dem Chlorethanol erkennen.“

Fazit: Nein, Ethylenoxid auf Teststäbchen stellt keine Gefahr dar. Das haben die zuständigen Prüfstellen, Hersteller selbst sowie unabhängige Expertinnen und Experten gegenüber AFP bestätigt. Die zum Einsatz von EO verwendeten ISO-Normen werden streng kontrolliert und protokolliert, das EO wird in eigenen Verfahren ausgegast und verflüchtigt sich.

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