Die österreichische Regierung bereitet für den Fall, dass die EU-Kommission Atomkraft als nachhaltige Energiequelle einstuft, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vor. Sollte die Brüsseler Behörde ihren Entwurf für die sogenannte Taxonomie umsetzen, „dann werden wir rechtliche Schritte ergreifen“, sagte Österreichs Umweltministerin Leonore Gewesseler der Nachrichtenagentur AFP. „Wir haben sehr, sehr starke Argumente.“
In Brüssel wird derzeit über eine Richtschnur für klimafreundliche Investitionen diskutiert. Die Kommission hatte dazu in der Silvesternacht einen Beschlussentwurf an die 27 Mitgliedstaaten geschickt. Demnach sollen Atom und mit deutlichen Einschränkungen auch Gas in das Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen, die Taxonomie, aufgenommen werden.
„Keine dieser beiden Energieformen ist eine nachhaltige Energieform per se“, sagte Gewessler. Deshalb sei für sie kein Platz in der Taxonomie-Verordnung. Die Klageandrohung aus Österreich, das selbst in hohem Maße von importiertem Erdgas abhängig ist, richtet sich jedoch nur gegen die Einstufung der Kernenergie als nachhaltig.
„Die Frage der Endlagerung (von Atommüll) ist seit Jahrzehnten nicht gelöst“, führte Gewessler aus. „Das ist als ob wir unseren Kindern einen Rucksack mitgeben und sagen ‚Ihr werdet das schon irgendwann einmal lösen‘.“ Dabei seien die Schäden, welche die Energieproduktion mit Kernkraft in der Vergangenheit verursacht habe, gut dokumentiert.
Die erneuerbaren Energien seien „deutlich günstiger, deutlich schneller verfügbar und die sichere und bessere Alternative“, sagte die Grüne weiter. Wien will bis 2030 die gesamte heimische Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. Schon heute liegt der Anteil bei über 75 Prozent. Allerdings importiert Österreich auch Elektrizität – teilweise auch Atomstrom.
Sie sei sicher, dass die Nuklearenergie „auf Basis der gemeinsamen, von allen Mitgliedstaaten beschlossenen Rechtsgrundlage keinen Platz“ in der Taxonomie habe, sagte die Ministerin weiter. Dem Gang vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg schaue sie daher „mit großer Zuversicht“ entgegen.
Allerdings hatte der EuGH noch 2020 eine Klage Österreichs gegen britische Subventionen für das Hinkley-Point-Kernkraftwerk im südwestenglischen Sommerset abgewiesen. Nach Auffassung der Richter hatte die Regierung des langjährigen EU-Mitglieds Großbritannien nicht gegen EU-Beihilfevorschriften verstoßen. Der Vertreter der EU-Kommission in Wien, Martin Selmayr, geht davon aus, dass auch eine erneute Klage scheitern würde.
Die EU-Staaten haben noch bis zum Freitag Zeit, um sich zum Vorschlag der Kommission zu äußern. Dann will Brüssel den Text offiziell vorstellen. Theoretisch können der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament die Umsetzung dann noch stoppen.
Neben Österreich haben bisher jedoch nur noch Deutschland und Luxemburg ihre Ablehnung offen kundgetan. Im Rat bräuchte es bedeutend mehr Gegenstimmen.
Insbesondere Frankreich und viele östliche EU-Länder befürworten Kernenergie aber ausdrücklich als „saubere“ Energiequelle. In vielen weiteren Ländern ist zumindest die Ablehnung nicht so ausgeprägt wie im deutschsprachigen Raum.
Luxemburg will nach Angaben von Gewessler auch die EuGH-Klage Österreichs unterstützen. Deutsche Umweltverbände fordern dies auch von der Bundesregierung. Berlin zeigt sich hier bislang zurückhaltend.