Vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt am Main beginnt am Mittwoch der Prozess gegen einen syrischen Arzt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Bundesanwaltschaft wirft Alaa M. Folter und die vorsätzliche Tötung eines Gefangenen vor. Der 36-Jährige soll in den Jahren 2011 und 2012 in einem Armeekrankenhaus und einem Gefängnis des Militärgeheimdiensts im syrischen Homs Gefangene „gefoltert und ihnen schwere körperliche sowie seelische Schäden zugefügt“ haben.
Konkret wirft ihm die Anklage unter anderem Mord, Folter in 18 Fällen, schwere und gefährliche Körperverletzung, schwere Freiheitsberaubung sowie Freiheitsberaubung mit Todesfolge vor. Die Opfer sollen demnach der gegen die Staatsführung von Machthaber Baschar al-Assad aufbegehrenden Opposition zugerechnet worden sein. Teilweise soll M. medizinische Instrumente oder Plastikrohre benutzt haben, um Gefangene zu schlagen.
In einem Fall soll er zudem einen Gefangenen mittels einer Injektion „vorsätzlich getötet haben, um damit seine Macht zu demonstrieren und zugleich das Aufbegehren eines Teils der syrischen Bevölkerung zu unterdrücken“, wie das Oberlandesgericht erklärte. Einem misshandelten Gefangenen, dessen Zustand sich durch einen epileptischen Anfall verschlechterte, soll er im Oktober 2011 eine Tablette gegeben haben. Der Mann zeigte daraufhin keine Reaktion mehr und starb.
Zudem soll er im Sommer 2011 die Genitalien eines 14 oder 15 Jahre alten Jungen mit Alkohol übergossen und angezündet haben. Darüber hinaus soll M. die Hand eines Gefangenen mit brennbarer Flüssigkeit übergossen und angezündet haben.
In zehn Fällen lehnte der Senat die Anklageschrift aus Rechtsgründen ab, weil die Tatvorwürfe nicht hinreichend umgrenzt und nicht konkret genug gefasst seien. Der Bundesgerichtshof ließ am Dienstag jedoch alle Anklagepunkte zu. Der Generalbundesanwalt hatte Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG eingelegt.
M. war in Deutschland seit dem Jahr 2015 als Arzt tätig, wurde Mitte Juni 2020 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Bis Ende März sind zunächst 15 Verhandlungstermine angesetzt.
Dass M. für seine mutmaßlichen Taten in Syrien in Deutschland vor Gericht gestellt wird, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Es handelt sich bereits um den zweiten Prozess in Deutschland, der sich mit Folter in syrischen Gefängnissen auseinandersetzt.
Erst am Donnerstag ging vor dem OLG im rheinland-pfälzischen Koblenz der weltweit erste Prozess um Staatsfolter gegen einen früheren Mitarbeiter eines syrischen Geheimdienstes zu Ende. Das Gericht verurteilte Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft.
In dem im April 2020 gestarteten Prozess war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits im Februar 2021 in einem abgetrennten Verfahren wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Im Frankfurter Prozess steht mit M. nun ein Mann vor Gericht, der im Gegensatz zu den Angeklagten von Koblenz selbst aktiv gefoltert haben soll. Die Aufklärung syrischer Verbrechen vor deutschen Gerichten wird damit fortgesetzt, was zuletzt auch von vielen Menschenrechtsaktivisten und Politikern vehement gefordert wurde.