Olaf Scholz: Der Bundeskanzler im Krisenmodus

Olaf Scholz - Bild: Bundesregegierung/Steins
Olaf Scholz - Bild: Bundesregegierung/Steins

Der Anruf erreichte den Kanzler mitten in der Nacht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weckte Olaf Scholz mit einer Schreckensnachricht: Ein russischer Angriff auf das Atomkraftwerk Saporischschja, die Anlage steht in Flammen. Hektische Konsultationen mit Partnerländern folgen, die Bundesregierung veranlasst Messungen der Radioaktivität. Es ist der neunte Tag des Kriegs in der Ukraine. „Wir haben eine sehr, sehr schwierige Lage“, sagt Scholz am Morgen danach.

Der Kanzler steht in der Henning-von-Tresckow-Kaserne, es ist sein Antrittsbesuch beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr im brandenburgischen Schwielowsee – eine lange geplante Visite, wie er betont. Der Krieg in der Ukraine gibt dem Besuch eine ganz neue Bedeutung. Er sei froh, bei seinem Truppenbesuch die Nachricht zu überbringen, dass seine Regierung die Bundeswehr nun angesichts der neuen Bedrohungslage „mit vielen zusätzlichen Mitteln“ ausstatten werde, sagt Scholz.

Für Scholz markiert der Besuch bei der Bundeswehr den Abschluss einer Woche, wie sie so wohl noch kein Bundeskanzler erlebt hat. Ein Kanzler der ökologischen Transformation, der gesellschaftlichen Modernisierung wollte er sein. Nun ist er ein Kriegskanzler. Seine Regierung läuft im Krisenmodus. Der Ukraine-Krieg überlagert alles andere. „Wir schauen alle ganz gebannt auf die Situation in der Ukraine“, sagt Scholz in Schwielowsee.

Mit der Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik geht auch ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung einher. Fast zwei Drittel unterstützen die geplante 100-Milliarden-Euro-Spritze für die Bundeswehr und die Lieferung von Waffen an die Ukraine – dies dokumentiert der neue „Deutschlandtrend“ der ARD vom Freitag.

Doch Scholz und seine Militärs wissen, welch ein Wagnis die Bundesrepublik eingeht, wenn sie nun erstmals Waffen in ein Kriegsgebiet liefert. Denn was passiert, wenn nun etwa reihenweise russische Hubschrauber mit von Deutschland gelieferten Flugabwehrraketen abgeschossen werden sollten? Wird Russland die Deutschen dann als Kriegspartei betrachten?

Parallel zu Scholz‘ Besuch beim Einsatzführungskommando wird bekannt, dass die Ukraine Deutschland inständig um die Lieferung schwerer Waffen gebeten hat – Kampfpanzer, Hubschrauber, U-Boote und vieles mehr. Die Bundesregierung steht vor einer heiklen Entscheidung.

69 Prozent der Befragten äußerten im „Deutschlandtrend“ die Sorge, dass es wieder zu einem großen Krieg in Europa kommt. Scholz versucht am Freitag erneut, diesen Ängsten entgegenzuwirken: „Wir sind nicht Teil der militärischen Auseinandersetzung dort und werden es auch nicht werden“, beteuert er. „Es ist ganz wichtig, dass wir einen kühlen Kopf bewahren.“

Zum Abschluss seines Besuchs in der Kaserne geht Scholz durch den „Wald der Erinnerungen“. Es ist die offizielle Gedenkstätte für Bundeswehrangehörige, die bei der Erfüllung ihres Dienstes ums Leben gekommen sind.

Der Weg führt den Kanzler vorbei an Kiefern hin zu einem Gedenkstein – Bundeswehrsoldaten haben ihn aus dem früheren Feldlager im afghanischen Masar-i-Scharif hierher gebracht. Scholz hält kurz inne. Der lange Krieg in Afghanistan war schlimm genug. Wohin der Krieg in der Ukraine nun führen wird, weiß noch niemand.

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