Die französische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 wird wegen der Präsidentschaftswahl im eigenen Land sehr intensiv. „Frankreich hat nur drei Monate Zeit für den EU-Ratsvorsitz und dafür eine sehr volle Agenda“, sagt die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay im AFP-Gespräch. „Das wird sehr sportlich.“
„Für Macron schließt sich ein Kreis“, sagt Demesmay und verweist darauf, dass der französische Präsident schon mit Europathemen in seinen ersten Wahlkampf gezogen war. Kurz nach Amtsantritt hatte Macron eine Grundsatzrede zur EU an der Sorbonne gehalten.
„Der EU-Ratsvorsitz ermöglicht es ihm nun, sich seiner europäischen Bilanz zu rühmen, sich von seinen Konkurrenten abzusetzen und neue Ideen einzubringen“, sagt Demesmay, die als Forscherin am Zentrum Marc Bloch tätig ist.
Ein Schwerpunkt der französischen EU-Ratspräsidentschaft werde „das schützende, soziale Europa“, sagt die Wissenschaftlerin. Macron habe schon immer finanzielle Instrumente gefordert, die Investitionen auf der Basis gemeinsamer Schulden möglich machen. Dies sei allerdings auch ein Punkt, an dem es am ehesten zum Konflikt mit Deutschland komme.
„Haushaltsfragen sind immer ein Zankapfel zwischen beiden Ländern“, sagt Demesmay. Die politische Kultur und die wirtschaftlichen Interessen seien sehr unterschiedlich, fügt sie hinzu und verweist auf den unterschiedlichen Schuldenstand in beiden Ländern: Während er in Frankreich bei 118 Prozent der Wirtschaftsleistung liege, seien es in Deutschland nur 70 Prozent.
Unterschiedliche Ansichten über Atompolitik würden den französischen EU-Ratsvorsitz hingegen wohl nicht weiter belasten, zeigt sich Demesmay überzeugt. „Die Positionen sind seit langem bekannt, deswegen wird es nicht zu Blockaden kommen.“ Nach jetzigem Stand bahnt sich bei dem Thema ein Streit zwischen Paris und Berlin an, den die EU-Kommission mit einem für Mitte Januar erwarteten Kompromissvorschlag entschärfen will.
Ansonsten werde Macron viel Gewicht auf das Konzept der „europäischen Souveränität“ legen, sagt Demesmay. „Es ist das Leitmotiv von Macron, und es ist auch im Berliner Koalitionsvertrag erwähnt.“
Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch der „strategische Kompass“ der EU. Dieser geht auf eine Initiative während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zurück und soll nun unter französischem Vorsitz verabschiedet werden. Dabei geht es um eine gemeinsame Analyse der Bedrohungen und um europäisches Krisenmanagement. „Das ist ein wichtiger Baustein beim Aufbau der europäischen Verteidigung“, sagt Demesmay.
Für Macron biete der EU-Ratsvorsitz „eine willkommene Bühne“ mit Blick auf die eigene Wiederwahl, zu der er mit großer Wahrscheinlichkeit antreten wird. „Franzosen sind empfänglich dafür, wenn internationale Politiker nach Frankreich kommen, und wenn Frankreich bei internationalen Themen etwas zu sagen hat“, sagt Demesmay.
Ob Macron der EU-Ratsvorsitz im eigenen Wahlkampf allerdings nutze, hänge sehr davon ab, inwiefern er europäische mit innenpolitischen Themen verknüpfen könne. Europäische Mindestlöhne oder eine CO2-Steuer seien Themen, die viele Menschen ansprächen. „Aber eine Wahl lässt sich nicht mit internationalen oder europäischen Themen gewinnen“, sagt die Forscherin. Franzosen sorgen sich laut Umfragen derzeit vor allem um ihre Kaufkraft – und ihre Gesundheit.