Es habe seit 1890 keine Erhöhung des CO2-Wertes in der Luft gegeben. Diese Behauptung haben Hunderte Nutzerinnen und Nutzer seit Ende März auf Facebook geteilt. Als Quelle ziehen sie einen alten Lexikoneintrag aus dem Jahr 1890 heran, der schon damals den heutigen Wert von 0,04 Prozent CO2-Anteil in der Luft angab. Zahlreiche Messungen zeigen: Der CO2-Wert war damals weitaus niedriger, die CO2-Werte steigen seither kontinuierlich an.
Das Klima müsse gar nicht gerettet werden, so der Tenor eines hundertfach geteilten Postings, denn: „Bereits 1890 betrug der Anteil des CO2 in der Luft lt. Meyers Lexikon (s.Abb.) 0,04%.“ Eine „Erhöhung“ des CO2-Werts habe es daher bis heute nicht gegeben, Steuern zum Schutz der Umwelt seien überflüssig.
Die Behauptung kursierte schon 2019, damals haben sie mehrere Faktencheck-Websites bereits überprüft (hier, hier, hier).
AFP hat zunächst nach dem Lexikoneintrag gesucht. Auf Seite 917 des Meyers Konversations-Lexikons findet sich tatsächlich der Eintrag „Kohlensäure“ mit der Angabe von 0,04 Prozent in der Atmosphäre. Die „retro-Bibliothek“ bietet außerdem eine Textversion des Lexikoneintrags an.
Eine wissenschaftlich exakte Quelle ist das Lexikon von 1890 allerdings nicht. „Das ‚Meyers Konversations-Lexikon‘ ist natürlich keine wissenschaftliche Quelle“, schrieb Stefan Brönnimann, der die Gruppe für Klimatologie am Geographischen Institut der Universität Bern leitet, am 9. April an AFP.
Was ist CO2?
CO2, auch Kohlenstoffdioxid genannt, ist die chemische Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff. Es ist ein wichtiger natürlicher Bestandteil der Erdatmosphäre. Es entsteht aber auch durch menschliches Zutun, etwa beim Verbrennen von Holz oder Benzin. Steigt CO2 in die Luft, verdichtet das die Atmosphäre und verstärkt den Treibhauseffekt. Der verändert wiederum das Klima und die Temperaturen steigen. Manchmal wird Kohlendioxid fälschlicherweise auch Kohlensäure genannt.
Gemessen wird der CO2-Anteil der Atmosphäre in ppm. Ppm steht für „parts per million“, also Anteile pro Million oder ein Millionstel. 0,04 Prozent wie im Lexikoneintrag entsprechen damit 400 ppm. Anfang April 2021 stand der CO2-Wert tatsächlich bei über 420 ppm, ein neuer Höchstwert an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre.
CO2-Messungen im Lauf der Zeit
AFP hat bei Experten nachgefragt, woher wir heute die Informationen über längst vergangenen CO2-Anteile bekommen. Zusammengefasst: Die Werte der vergangenen 60 Jahre stammen aus exakten Luftmessungen. Für ältere Werte werden die Proben aus sogenannten Eisbohrkernen herangezogen, die Aufschluss über die Zusammensetzung der Luft im Laufe der Zeit geben. Beide Messmethoden zeigen, dass der Wert aus dem Lexikon nicht stimmen kann.
Christian Pfister ist emeritierter Professor für Wirtschafts-, Sozial und Umweltgeschichte am Historischen Institut der Universität Bern und beschäftigte sich in zahlreichen Publikationen mit Klimageschichte. Er verwies auf eine Forschungsreihe in Mauna Loa in Hawaii.
Dort messen Forschende auf einem Vulkan seit 1958 durchgehend die CO2-Werte in der Luft. Eine Grafik der dortigen Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) zeigt, wie die CO2-Werte seit Messbeginn kontinuierlich steigen – von unter 320 ppm zu Beginn der 1960er-Jahre auf den aktuellen Rekordwert von über 420 ppm Anfang April 2021.
Klimatologe Brönnimann vermutete: „Der Wert, der in ‚Meyers Konversations-Lexikon‘ steht, war vermutlich bereits damals nicht auf der Höhe der Zeit.“ Er verwies auf Messungen vom Ende des 19. Jahrhundert, die einen deutlich niedrigeren Wert als der Lexikoneintrag zeigen. Der Ingenieur Guy Stewart Callendar hatte die verschiedenen damaligen Messwerte 1958 zusammengefasst. Die darin angegebenen Werte für den Zeitraum zwischen 1865 und 1901 liegen zwischen 282 und 310 ppm, also deutlich unter dem Wert aus dem Lexikon.
Die Forschung ist aber nicht allein auf die laut Brönnimann teils ungenauen Messwerte aus dem vorletzten Jahrhundert angewiesen. Um mehr über die Klimadaten der Vergangenheit zu erfahren, bohren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit den 1950er-Jahren in den Eisbohrkernen der Antarktis. In den kleinen Luftbläschen, die im Eis eingeschlossen sind, lässt sich der CO2-Gehalt Hunderttausende Jahre zurückbestimmen, wie die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik schreibt (ZAMG).
Solche Eisbohrkerne „geben eine CO2-Konzentration um 1890 von 294 ppm, also in sehr guter Übereinstimmung mit dem Mittelwert aller historischen Messungen“, erklärte Brönnimann. Einem Schweizer Forschungsteam gelang es mit dieser Methode im Jahr 2008, mit Eiskernbohrungen zu zeigen, dass der CO2-Wert von 2008 der bis dahin höchste der vergangenen 800.000 Jahre war. Der Wert von 2008 liegt noch einmal deutlich unter dem heutigen Wert.
Der Meteorologe und Klimatologe Hermann Flohn hielt außerdem bereits in einem Papier aus den 1980er-Jahren fest: „Vor Beginn des modernen Industriezeitalters (um 1890) wurde der CO2-Gehalt der Luft in verschiedenen, damals noch recht ungenauen Meßserien zu 290 bis 295 ppm bestimmt.“
Fazit: Der Lexikoneintrag ist zwar authentisch, die angegebene Zahl darin aber nicht richtig. Der CO2-Wert lag um 1890 nicht bei 0,04 Prozent beziehungsweise 400 ppm, sondern lag weit darunter, wie historische Messungen und Eiskernbohrungen belegen. Langzeitmessungen belegen außerdem den Anstieg des CO2-Wertes.