Mehr als 9400 Menschen haben seit Mitte April ein Video auf Instagram gesehen, wonach die mRNA-Corona-Impfungen angeblich die Genschere „Crispr/Cas9“ enthielten. Mit dieser Technologie solle die DNA im Körper von Geimpften verändert, Gene herausgeschnitten und neue eingefügt werden, so behauptet eine Frau auf Instagram. Allerdings: Die „Crispr“-Technologie ist nicht Bestandteil von mRNA-Impfungen. Letztere verändern auch nicht die DNA eines Menschen.
Das Instagram-Video kommt gleich auf den Punkt: Eine „Mordspritze“ sei die neue Impfung gegen das Corona-Virus. Mehr als 9000 Menschen haben seit dem 16. April die Ausführungen einer jungen Frau gesehen, die darin Sätze sagt wie: „Diese Spritze beinhaltet die CRISPR/Cas9 Technologie.“ Und: „Das ist eine RNA-Spritze. Es soll deine Gene verändern, es schneidet etwas aus deinen Genen raus und fügt etwas Neues ein, also von deinem Vererbungsgen.“
Deshalb sei die RNA-Technologie, auf der die Impfungen von Biontech/Pfizer und Moderna beruhen, seit 30 Jahren nicht zugelassen worden, schließt sie. „Zu gefährlich.“
Die Behauptung, dass Impfstoffe gegen Corona in die DNA von Menschen eingreifen, ist nicht neu. AFP hat sie bereits hier widerlegt. Andere falsche Informationen über die Impfungen behaupten, diese machten Frauen unfruchtbar, sorgten für unkontrollierbares Zellsterben oder seien sogar radioaktiv. Auch die Behauptung zum Einsatz der Crispr-Technologie in Impfstoffen gehört in diese Reihe von falschen Aussagen.
Wie funktionen mRNA-Impfungen?
Es stimmt, dass sogenannte Boten-RNA Teil von bestimmten Impfstoffen gegen das Corona-Virus Sars-CoV-2 ist. RNA steht für Ribonukleinsäure. Sie trägt etwa bei Viren jene Informationen, die eine Zelle dazu veranlassen, weitere virale Proteine zu bauen, die dann wiederum neue Zellen infizieren.
Auch bei der so genannten Boten-RNA-Impfung bekommen Zellen solche Informationen per Injektion präsentiert und sie beginnen mit der Herstellung. Der Trick: Nach der Impfung bauen Zellen keine echten, sondern nur ganz bestimmte inaktive Teile des Corona-Virus nach, die sich auch nicht weiter vermehren können. Das Immunsystem greift diese Bausteine an und entwickelt eine Abwehr, die dann auch gegen das echte Corona-Virus schützt (mehr dazu hier, hier).
Was ist Crispr-Cas9?
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) beschreibt die real existierende „Crispr/Cas9„-Technologie auf seiner Website als Genschere oder „molekulares Skalpell“. Dahinter verbirgt sich eine bahnbrechende Entdeckung in der Genetik, für die die beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis bekamen. Einfach gesagt: Crispr ermöglicht es, DNA an ausgewählten Stellen zu durchtrennen und wieder zusammenzufügen.
Die MPG schreibt: „Forscher können so Gene ausschalten oder an der Schnittstelle neue Abschnitte einfügen. Auf diese Weise lässt sich das Erbgut sehr viel einfacher und schneller verändern als bisher.“ Die Möglichkeiten, etwa im Kampf gegen Krankheiten, erscheinen grenzenlos. Das US-Tech-Magazin „Wired“ bezeichnete die Crispr-Forschung schon 2015 sogar als „Genesis Engine„, zu deutsch: Schöpfungsmotor. Weil dieser Motor aber so kompliziert ist, sei „die Funktionsweise von CRISPR/Cas9 auch nach 30 Jahren Forschung noch immer nicht völlig verstanden“, schreibt die MPG.
Immer wieder sorgte die Crispr-Technologie in der Vergangenheit auch für ethische Debatten über mögliche Gefahren. Auch die Instagrammerin aus dem aktuell verbreiteten Video greift diese auf. Es gab, ebenfalls 2015, sogar eine gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zum Thema. Diese sprachen sich für ein internationales Moratorium aus, um offene Fragen über potenzielle Risiken zu klären.
Auch aktuell schreibt die Leopoldina auf ihrer Website: „Die neuen Methoden sind nicht unumstritten: Während robuste, ertragreiche Pflanzen Hungersnöte verhindern könnten, werden Warnungen vor unabsehbaren Folgen für die Umwelt laut. Neue Heilungs- und Therapiemethoden werfen Fragen nach möglichen Langzeitfolgen von Eingriffen in die Keimbahn auf.“
Kommt diese Crispr-Genschere wirklich in Impfstoffen zum Einsatz?
Nein. AFP hat am 19. April beim Max-Planck-Institut für Biochemie nach der Behauptung gefragt. Der Leiter der Forschungsgruppe Immunregulation, Peter Murray, schrieb in einer E-Mail: „Die mRNA-Impfungen enthalten in keiner Weise irgendeinen Bestandteil der Crispr/Cas9-Technologie.“
Auch die Professorin für Biochemie an der Universität Leipzig, Annette Beck-Sickinger, schrieb am 19. April in einer E-Mail an AFP: „Crispr/Cas ist eine Methode, um DNA zu modifizieren, also ganz genau das, was die RNA-Impfstoffe eben nicht können“ (dazu im nächsten Absatz mehr).
Sie erklärt: Auch bei Crispr komme eine spezielle RNA zum Einsatz, mit deren Informationen sich bestimmte Bereiche in der DNA gezielt ansteuern lassen. „Vielleicht ist so das Missverständnis in diesem Fall zustande gekommen“, schreibt Beck-Sickinger. Die RNA der Impfstoffe und die von Crispr seien allerdings nicht dasselbe.
Verändern mRNA-Impfstoffe die DNA?
Internationale Experten und Expertinnen sowie medizinische Institute sind sich einig: Eine mRNA-Impfung verändert die DNA eines Menschen nicht. Sie erklären unisono, dass die geimpfte RNA lediglich in einem bestimmten Teil der Zelle zur Anwendung kommt. Der genetische Bauplan gelangt aber nicht in den Kern einer Zelle, wo sich die DNA befindet.
Auf AFP-Nachfrage teilte die Professorin für Infektionskrankheiten an der Universität von Chile, Jeannette Dabanach Peña, mit: „Sie (die Impfungen) manipulieren nicht die menschliche DNA. Sie sind dafür gemacht, bestimmte Proteine herzustellen, damit unser Körper sie identifizieren und die notwendigen Abwehrkräfte aufbauen kann. Das macht ein Virus natürlicherweise auch und es verändert dabei nicht unsere DNA.“
María Victoria Sánchez, Forscherin im argentinischen Institut für experimentelle Medizin und Biologie, erklärte außerdem auf AFP-Anfrage, dass es dabei einen Übersetzungsprozess des verabreichten genetischen Codes in ein Coronavirus-Protein gebe. Sie präzisierte: Dieser Prozess finde im sogenannten Zytoplasma statt, das den Zellkern umgibt, nicht aber im Zellkern selbst, in dem sich die DNA eines Menschen befindet. „Boten-RNA kann nicht in unsere DNA gelangen“, sagte sie.
Aber kann aus durch Impfung verabreichter RNA nicht doch neue für den Menschen gefährlich manipulierte DNA entstehen? Der französische Genetiker und Präsident der Liga gegen Krebs, Axel Kahn, erklärte gegenüber AFP: „Die DNA wird in RNA transkribiert (…). Den umgekehrten Weg sehen wir nicht.“ Das bestätigte Christophe D’Enfert, wissenschaftlicher Direktor des Pasteur-Instituts in Paris, welches zur Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten forscht. Um RNA wieder in ein Genom zu integrieren, müsse es „retrotranskribiert“, also zurück umgeschrieben werden. „Und das passiert nicht spontan in Zellen“, erklärte er AFP (hier).
Kahn zufolge wird stattdessen die RNA aus Impfungen wieder vom Körper abgebaut, „Nachdem die Antigene entstanden sind, die zur Bildung von Antikörpern führen, wird die RNA aus dem Impfstoff zerstört“, sagte er.
Das bestätigte auch Kenneth Witwer, Professor für molekulare und vergleichende Pathobiologie an der Johns Hopkins Universität: „mRNA wird einfach in Protein übersetzt, schnell abgebaut und kann nicht in DNA umgewandelt werden.“
Was sagt die Frau aus dem Instagram-Video?
AFP hat am 19. April auch noch einmal die Instagrammerin selbst nach ihrer Behauptung gefragt. Sie schrieb: „Steht fast überall“ und sendete einen Link zu einer Artikelübersicht der Deutschen Apotheker Zeitung. Dort findet sich allerdings zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lediglich ein Artikel zum Einsatz der Crispr-RNA für neuartige Corona-Tests und ein Überblicksstück über die grundsätzlichen Einsatzmöglichkeiten von RNA. Einen Text über den Einsatz von Crispr/Cas9 in mRNA-Impfstoffen konnte AFP nicht finden.
Fazit: Nein, die Genschere kommt in mRNA-Impfungen nicht zum Einsatz. Lediglich arbeitet die Crispr/Cas9-Technologie ebenfalls mit gezielt eingesetzter RNA. Auch schneidet die Impfung keine Gene heraus oder verändert die DNA eines Menschen ins sonst einer Art.