Russisches Gericht verlängert Haftstrafe für Stalinismus-Forscher auf 15 Jahre

Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit
Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit

Die Haftstrafe für den russischen Stalinismus-Forscher und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Memorial, Juri Dmitrijew, ist um zwei Jahre verlängert worden. Ein Gericht in der Stadt Petrosawodsk gab am Montag einem Antrag der Staatsanwaltschaft statt: Dmitrijews Gefängnisstrafe wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs wurde damit von 13 auf 15 Jahre ausgedehnt, wie Memorial mitteilte.

Die Menschenrechtsorganisation stuft den Historiker, der für seine Forschungen zu den Verbrechen während der Stalin-Zeit bekannt ist, als „politischen Gefangenen“ ein. Der 65-Jährige ist der Leiter einer Regionalorganisation von Memorial – die Organisation selbst akut von der Schließung durch die russische Justiz bedroht ist. Die Missbrauchsvorwürfe gegen Dmitrijew hatte Memorial von Anfang an als fadenscheinig angeprangert.

In den vergangenen Jahren hatte sich der Historiker und Aktivist in mehreren Prozessen wegen einer Reihe von Vorwürfen verantworten müssen, unter anderem wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs seiner Adoptivtochter.

Dmitrijew war 2016 wegen des Vorwurfs des Besitzes kinderpornographischen Materials festgenommen worden. Vor Gericht gab er an, mit Nacktfotos seiner Adoptivtochter deren Wachstum dokumentiert zu haben. 2018 wurde er freigesprochen. Ein höheres Gericht nahm den Freispruch jedoch später zurück, Dmitrijew wurde wegen sexueller Handlungen mit einem Kind erneut vor Gericht gestellt.

Im Juli 2020 wurde Dmitrijew dann zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, die er allerdings schon fast in Untersuchungshaft abgesessen hatte. Die Staatsanwaltschaft forderte daraufhin ein höheres Strafmaß – im September folgte die Verurteilung zu 13 Jahren Straflager. Die Staatsanwaltschaft verlangte dann eine weitere Verlängerung der Strafe um zwei Jahre. Dem kam die Justiz nun nach.

Der Historiker hat mit seiner Forschungsarbeit die Aufmerksamkeit auf eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Landes gelenkt. Über Jahre widmete er sich der Aufarbeitung der Repressionen in der Sowjetzeit. Seine Untersuchungen führten auch zur Entdeckung eines Massengrabes mit den Überresten von etwa 9000 Menschen, die zur Zeit der UdSSR erschossen worden waren.

Die Verurteilung Dmitrijews hatte im vergangenen Jahr auch zu Spannungen zwischen Russland und Deutschland sowie Frankreich geführt. Die Regierungen in Berlin und Paris kritisierten damals die Haftstrafe. Ihre Botschafter wurden daraufhin vom russischen Außenministerium einbestellt. Das Ministerium kritisierte einen „Akt der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Russischen Föderation“.

Memorial war Ende der 80er Jahre von sowjetischen Dissidenten, darunter dem Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, gegründet worden. Das Netzwerk aus einer Reihe örtlicher Organisationen setzt sich für die Aufarbeitung der politischen Verfolgung und des stalinistischen Terrors in der Sowjetunion, aber auch für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte im heutigen Russland ein.

Die russische Justiz stuft die Dachorganisation von Memorial als „ausländischen Agenten“ ein und droht mit einem Verbot. Am Dienstag verhandelt der Oberste Gerichtshof von Russland über die mögliche Auflösung des Netzwerks. Kritiker werfen den russischen Behörden vor, mit dem Vorgehen gegen Memorial den Druck auf Kritiker von Präsident Wladimir Putin zu erhöhen und auch ein Signal an den Westen senden zu wollen.

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