Russlands Außenminister ist ein gefürchteter Gesprächspartner. Wenn Sergej Lawrow es für nötig hält, brüskiert er einen Gast auch mal vor laufenden Kameras. Wird Lawrow einen seiner berüchtigten diplomatischen Affronts inszenieren, wenn am Dienstag die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erstmals bei ihm zu Besuch ist? Die Stimmung zwischen Berlin und Moskau ist momentan jedenfalls mindestens so frostig wie der russische Winter – ein Erfolg für die Ministerin wäre es schon, wenn Russland sich bereit erklärte, die diplomatischen Gespräche mit dem Westen fortzusetzen.
Baerbock ahnt, was auf sie zukommt. Gerade in Krisenzeiten sei Diplomatie dadurch gekennzeichnet, „dass es starke Nerven braucht“, sagte sie vor der Reise. Ihre Ziele: Am Montag ist Baerbock zunächst in Kiew, um der Ukraine Unterstützung angesichts des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zuzusichern. Am Dienstag dann wird sie in Moskau versuchen, die in der vergangenen Woche mit Mühe gestarteten diplomatischen Gespräche am Leben zu erhalten.
Als Erfolg gilt in Berlin bereits, wenn überhaupt mit Russland gesprochen gesprochen wird. Solange gesprochen wird, wird nicht geschossen – so das Kalkül der deutschen Diplomatie.
Angesichts der schwierigen Ausgangslage besteht im diplomatischen Dialog momentan freilich die akute Gefahr des Aneinander-Vorbeiredens – denn Russland stellt Forderungen, die darauf hinauslaufen, die Ukraine und andere Ex-Sowjetrepubliken einer neuen russischen Einflusszone in Osteuropa zuzuschlagen. Für den Westen ist das schlichtweg nicht verhandelbar.
„Putin will zurück in die Zeit des Kalten Krieges, als es zwei Blöcke gab“, sagt die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Nachrichtenagentur AFP. „Er verfolgt seine Großmachtsfantasien, während die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt.“
Eines der Ziele von Baerbocks Reise besteht darin auszuloten, welches Ziel Moskau mit seinem militärischen Säbelrasseln an der ukrainischen Grenze verfolgt. Denn auf die große Frage der gegenwärtigen Krisensituation gibt es noch keine schlüssige Antwort: Welche Ziele glaubt Kreml-Chef Wladimir Putin denn realistischerweise erreichen zu können?
So unklar Putins konkrete Ziele seien, so deutlich sei seine Strategie: durch Unberechenbarkeit „maximalen Druck“ aufzubauen, sagt die Russland-Expertin Marie Demoulin vom European Council on Foreign Relations zu AFP. Damit wolle er dem Westen Zugeständnisse abtrotzen.
Für Demoulin ist klar: Der Schlüssel für die Beilegung der Krise liegt bei Putin: „Ob die Gespräche fortgesetzt werden oder nicht, wird letztendlich von Wladimir Putin entschieden, und niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt, in welche Richtung er gehen wird.“
Der Reigen diplomatischer Gesprächsformate mit Russland in der vergangenen Wochen hat keine Ergebnisse gezeitigt, aber zumindest eine Erkenntnis gebracht: nämlich, wie weit die Positionen auseinanderliegen.
Moskau hat zunächst einmal kein Interesse an weiteren Gesprächen erkennen lassen. Die Bundesregierung ist nach Angaben einer Sprecherin aber „verhalten optimistisch“, dass sich Russland bald auf Ebene hoher Diplomaten an einem Gespräch im „Normandie-Format“ mit Deutschland, Frankreich und der Ukraine beteiligen könnte.
Wehrexpertin Strack-Zimmermann warnt allerdings davor, dem Kreml-Chef mit allzu vielen Zugeständnissen entgegenzukommen: „Putin testet aus, wie weit er gehen kann, er führt uns vor und zwingt uns das Narrativ auf, dass wir uns bewegen müssen.“ Der Außenministerin gibt die FDP-Politikerin einen Ratschlag mit auf die schwierige Reise: „Putin versteht nur glasklare Ansagen – inklusive der möglichen Folgen.“