Nein, am Obersten Gerichtshof von Kanada beginnt kein Prozess wegen Corona-Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Jon Kolbert, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Jon Kolbert, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Hunderte User haben seit Anfang September 2021 ein Video auf Facebook verbreitet, wonach der Oberste Gerichtshof von Kanada einen Prozess gegen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begonnen habe. Eingereicht habe diese Klage der deutsche Anwalt und Verschwörungsideologe Reiner Füllmich. Das Gericht verneinte allerdings die Existenz eines solchen Prozesses gegenüber AFP. Auch Füllmich selbst dementierte die Einreichung.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptungen rund um den angeblichen Gerichtsprozess auf Facebook geteilt (hierhierhier). Auf Telegram sahen Hunderttausende die vermeintliche Ankündigung des Verfahrens (hierhier). Leserinnen und Leser machten AFP auch auf Whatsapp darauf aufmerksam. Zuvor war ein Twitter-Thread zum Thema erschienen. User teilten die Behauptung auch in zahlreichen anderen Sprachen, etwa auf FranzösischSpanischEnglisch oder Polnisch.

Die Falschbehauptung

Auf Twitter heißt es: „Der Prozess wegen globaler Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat begonnen, eingereicht und vom Obersten Gerichtshof Kanadas genehmigt.“ Unter Leitung des deutschen Anwalts Reiner Füllmich sei die „größte Klage der Geschichte“ unter dem Namen „Nürnberg 2.0“ gegen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die „Davoser Gruppe“, das Weltwirtschaftsforum, eingereicht worden. Füllmich habe die PCR-Tests zudem als unzuverlässig entlarvt und die Impfstoffe „gentechnische Experimente“ genannt. Als Beweis wird dazu ein Gerichtsdokument geteilt.

Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 04.01.2022

Wer ist Reiner Füllmich?

Laut seiner Webseite ist Reiner Füllmich ein deutscher Anwalt, dessen Kanzlei neben dem Bank- und Wettbewerbsrecht, auch auf Medizinrecht fokussiert ist. In der Vergangenheit überprüfte AFP bereits mehrere Falschaussagen von Füllmich in Bezug auf das Coronavirus (siehe hierhier).

Bereits 2020 hatte Füllmich tatsächlich angekündigt, in den USA eine Sammelklage aufgrund der in der Corona-Pandemie entstandenen Schäden gegen politische Verantwortliche sowie die Erfinder und Verkäufer von PCR-Tests einreichen zu wollen. Interessierte Anhänger Füllmichs konnten sich Medienberichten zufolge in diese Klage auch einkaufen (mehr dazu hier). Es gibt jedoch keine Hinweise dafür, dass Füllmich diese jemals vor ein Gericht gebracht hat. Bisher hat der Anwalt keine derartigen Ankündigungen auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht, welchen Füllmich regelmäßig nutzt.

Dem Obersten Gerichtshof in Kanada liegt keine Klage vor

Auf AFP-Anfrage erklärte ein Sprecher des kanadischen Obersten Gerichtshofs am 13. Dezember: „Alle beim Obersten Gerichtshof eingereichten Fälle (sowohl laufende als auch frühere) werden auf einer Webseite des Gerichts aufgelistet, welche auf dem neuesten Stand gehalten wird.“ Dort konnte AFP allerdings keinen solchen Fall finden.

Eine am 29. Dezember 2021 durchgeführte Suche mit unterschiedlichen Kombinationen der Stichwörter „Reiner Fuellmich“, „WHO“ oder den englischen Begriffen für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in der Datenbank des Obersten Gerichtshofs lieferte keine Ergebnisse.

Das mitgelieferte Gerichtsdokument liefert keinen Beweis

Der Tweet mit der Falschbehauptung verweist auf ein PDF-Dokument, welches vom Obersten Gerichtshofs Kanadas stammen und die Füllmich-Klage zeigen soll. Das Dokument ist echt, hat allerdings mit der angeblichen Klage Füllmichs nichts zu tun. Sein Name findet sich darin nicht wieder.

Bei dem auf den 11. Januar 2021 datierten Dokument handelt es sich stattdessen um eine Klage gegen eine Vielzahl von Personen und Institutionen. Diese Klage stellte nach eigenen Angaben die Befugnis von verfassungsrechtlichen Institutionen infrage, „Grundrechte aufgrund einer vermeintlichen globalen Pandemie auszusetzen und zu verletzen“.

Unter den Beschuldigten befinden sich tatsächlich die Weltgesundheitsorganisation, ebenso wie Papst Franziskus, Königin Elisabeth II. und Bill und Melinda Gates. Die Klägerinnen und Kläger werfen ihnen vor, die Einführung von Beschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ermöglicht zu haben, welche sie als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnen.

Wie auf einer Aufschrift des Dokuments zu sehen, wurde die Klage vor dem Obersten Gerichtshof der kanadischen Provinz Ontario eingereicht, nicht vor dem Obersten Gerichtshof des Landes. Letzterer prüft laut eigener Webseite Fälle nur bei „Berufungen gegen Entscheidungen der höchsten letztinstanzlichen Gerichte der Provinzen und Territorien sowie des Bundesberufungsgerichts und des Kriegsberufungsgerichts Kanadas“.

Screenshot des Gerichtsdokuments: 04.01.2022

Das Gericht in Ontario hatte schon im Mai 2021 gegenüber AFP bestätigt, dass diese Klage bereits im Februar 2021 abgewiesen worden war. Die Entscheidung bezog sich damals auf eine Regel der Zivilprozessordnung, wonach “das Gericht von sich aus ein Verfahren aussetzen oder abweisen kann, wenn es auf den ersten Blick leichtfertig oder schikanös erscheint oder einen Missbrauch des Gerichtsverfahrens darstellt. Zum Obersten Gerichtshof Kanadas konnte die Klage daher nicht gelangen.

Reiner Füllmich selbst dementierte die Behauptung

Reiner Füllmich selbst dementierte die verbreitete Meldung zu seinem angeblichen Prozess bereits am 16. Dezember über seinen Telegram-Kanal. Dort heißt es:

„Wieder einmal sind falsche Berichte im Umlauf, wonach Dr. Reiner Füllmich Hunderte Anwälte und medizinische Experten anführe und ein Nürnberg 2.0 in Kanada in die Wege geleitet habe.“

Füllmich versicherte jedoch, dass ein Team von Anwälten ein „Tribunal der öffentlichen Meinung“ vorbereite, eine Art Konferenz, welche er im Jahr 2022 abhalten möchte. Für das Tribunal sollen Beweise für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Umgang mit der Pandemie sowie „Aussagen von Impfstoffopfern“ gesammelt werden.

In einem Interview mit dem ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon hatte Füllmich im Juni 2021 gefordert, dass für einen „Nürnberger Prozess 2.0“ ein „internationales Coronavirus-Tribunal“ gebildet werden müsse. Er räumte auch damals allerdings ein, dass die Umstände dafür „noch nicht gegeben“ seien.

Fazit

Dem Obersten Gerichtshof von Kanada liegt keine Klage von Reiner Füllmich wegen globaler Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Eine als Beweis angeführte Klageeinreichung stammt von einem Gerichtshof in Ontario und wurde bereits Anfang 2021 abgewiesen. Reiner Füllmich selbst dementierte die Behauptungen ebenfalls.

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