Umbauen oder umsatteln? Klimaauflagen stellen niederländische Bauern vor Dilemma

Bauernhof
Bauernhof

Landwirt Corne de Rooij streichelt gedankenversunken die Mäuler seiner Kühe – und fragt sich, wie lange er das wohl noch tun kann. „Das ist meine Leidenschaft und mein Leben“, sagt der 53-jährige Niederländer über seinen Beruf. Doch die Regierung nimmt die Branche zunehmend in die Pflicht und stellt sie im Bemühen um mehr Klimaschutz letztlich vor die Wahl: Umbau der Höfe oder neuer Job.

Die Regierungskoalition unter Ministerpräsident Mark Rutte will bis 2035 insgesamt 25 Milliarden Euro investieren, um den Bauern dabei zu helfen, ihre Herden zu reduzieren und den besonders von Düngemitteln und Mist verursachten Stickstoffausstoß zu senken.

Das vergleichsweise kleine Land ist nicht nur dicht besiedelt mit 17,5 Millionen Menschen, sondern auch mit immens vielen Tieren. In den Niederlanden gibt es fast vier Millionen Rinder, zwölf Millionen Schweine und hundert Millionen Hühner. Nach den USA sind die Niederlande der zweitgrößte Exporteur von landwirtschaftlichen Produkten.

Die Landwirtschaft ist aber auch für 16 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Niederlande verantwortlich. Dabei spielt auch der Methan-Ausstoß von Kühen über ihre Verdauung eine Rolle. Ziel der Regierung ist es nun, den Bauern dabei zu helfen, ihr Geschäft breiter aufzustellen, umzuschulen, Neuerungen einzuführen oder sogar umzusiedeln, wenn ihr Hof nahe eines Naturschutzgebiets liegt.

Sollten sie nicht kooperieren, droht ihnen sogar die umstrittene Maßnahme einer Enteignung. Die Regierung argumentiert, sie habe keine Wahl. Riesige Bauprojekte liegen wegen einer Klage von Umweltschützern gegen hohe Emissionen auf Eis. Nun wird der Agrarsektor stärker an die Kandare genommen – in der Hoffnung, so einen Teil der Bauprojekte wieder aufnehmen und gleichzeitig 50 Prozent der Stickstoffemissionen bis 2030 einsparen zu können.

Das kleine Land hat allemal verstanden, dass nicht alles auf einmal funktionieren wird: Landwirtschaft, eine riesige Blumenindustrie, einen von Europas größten Flughäfen, ein dichtes Straßennetz, Wohnraum für alle und zusätzlich zu alldem Naturräume, die es zu schützen gilt. Die Bäuerinnen und Bauern fühlen sich nun an die Wand gedrängt und bereits seit Jahren unverstanden und vergessen, wie Landwirt de Rooij erzählt.

Viele von ihnen üben den Beruf seit Generationen aus und sehen sich mit einer „riesigen Ungewissheit“ konfrontiert. „Es wird wehtun, wenn wir das aufgeben müssen“, sagt er über seinen Hof in Riel in der südlichen Provinz Brabant. Er und seine Kollegen sehen sich immer neuen Regeln ausgesetzt, die jüngste Vorgabe zur Klimaneutralität der Ställe wird ihn selbst fast eine Million Euro kosten.

Der Agrarsektor sei ein „leichtes Opfer“, auf das die Regierung stets zuerst zeige, sagt de Rooij. Er sorgt sich durchaus selbst um den Klimawandel und die Folgen für das flache Land. „Aber gebt uns Zeit und Geld“, fordert er, „und klare Ziele“.

Die größte niederländische Agrargewerkschaft LTO begrüßt es grundsätzlich, dass die Regierung mehrere Milliarden Euro bereitstellt, um den Sektor nachhaltiger zu machen. Sie stört sich jedoch daran, dass mehr Geld als Kompensation für jene zur Verfügung stehe, die ihren Hof aufgeben als für Innovationen der bestehenden Betriebe. Die Branche stehe bereit für den Wandel – „aber Gesellschaft und Politik müssen den Übergang möglich machen“, sagt LTO-Präsident Sjaak van der Tak.

Bauer de Rooij stellt sich unterdessen auf weitere ungewisse Monate ein. Er kenne viele Leute, die über das Aufgeben nachdenken, „denn in den Niederlanden weiß man nicht mehr, auf welchem Fuß man tanzen soll“, sagt er. „Die Politik muss endlich wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stehen.“

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