Faktencheck: Diese Aussage des italienischen Ministerpräsidenten Draghis wird aus dem Kontext gerissen

Mario Draghi - Bild: European Central Bank
Mario Draghi - Bild: European Central Bank

Hunderte Facebook-User haben im Februar 2022 ein angebliches Zitat des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi geteilt. Er soll bei einer Pressekonferenz gesagt haben, dass „Ungeimpfte kein Teil der Gesellschaft“ seien. Tatsächlich taucht das verbreitete Zitat in dem dazugehörigen Video gar nicht auf. Draghi kommentierte zwar, dass die Ungeimpften damals, im November 2021, nicht am normalen Leben teilnehmen konnten, sprach sich jedoch für eine Rückkehr zur Normalität aus, sobald die Pandemie-Lage es zulasse.

Hunderte Nutzerinnen und -Nutzer haben das angebliche Zitat aus dem Video Mitte Februar auf Facebook geteilt (hierhier). AfD-Politikerin Ina Buchmann erreichte mit ihrem Posting ebenfalls Dutzende User. Auf Telegram sahen die Behauptung Zehntausende.

Auch auf Ungarisch kursierte die Behauptung, genauso wie auf FranzösischNiederländischSlowakischTschechisch oder Polnisch.

Die Behauptung

Facebook-User haben ein 15-sekündiges Video geteilt, in dem der italienische Ministerpräsident auf Italienisch spricht. Das Video ist nicht mit Untertiteln versehen. In den Beitragstexten zitieren die User ihn wie folgt: „Mario Draghi: ‚Die Ungeimpften sind kein Teil unserer Gesellschaft.'“ Außerdem heißt es, in Italien seien 500.000 ungeimpfte Menschen über 50 von der Arbeit freigestellt und „ohne Gehalt zurückgelassen“ worden. Manche User haben den Text lediglich mit einem Screenshot des Videos geteilt.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 18.02.2021

Ursprung des Videos

Eine Google-Suche nach den im Video zu hörenden Äußerungen Draghis ergab, dass der Ausschnitt aus einer fast 50-minütigen Aufzeichnung einer Pressekonferenz stammt, die am 24. November 2021 stattfand.

Was sagt Mario Draghi bei der Pressekonferenz?

Während der Pressekonferenz sprach Draghi zusammen mit Gesundheitsminister Roberto Speranza und der Ministerin für regionale Angelegenheiten, Mariastella Gelmini, über eine neue Verordnung, die vom Ministerrat verabschiedet wurde. Die Verordnung weitet unter anderem die Impfpflicht auf Polizei- und Militärangehörige, Lehrende und Verwaltungspersonal des Gesundheitswesens aus. Außerdem führt das Dekret auch einen neuen „verschärften Grünen Pass“ ein, der den Zugang zu bestimmten Orten an die Bedingung knüpft, entweder geimpft zu sein oder einen Nachweis der Corona-Genesung zu erbringen.

In der Aufzeichnung der Pressekonferenz ist ab Minute 47:40 zu sehen und zu hören, wie ein Journalist den Ministerpräsidenten darauf hinweist, dass die italienische Regierung neue Maßnahmen im Kampf gegen Covid ergreift, obwohl die Zahlen ganz anders seien als vor einem Jahr. Er fragt: „Wird dies das letzte abnormale Weihnachtsfest für die Italiener sein?“

Draghi antwortet: „Ich hoffe, dass es ein normales Weihnachten wird. Für die Geimpften ist es ein normales Weihnachten. Und hoffen wir, dass sich die Pandemie so entwickelt, dass das nächste Weihnachten wirklich ein Weihnachten für alle sein wird. Das wollen wir zurückgewinnen, dass es für alle ist. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass all diejenigen, die von nun an Einschränkungen unterliegen werden oder denen die Einschränkungen vorbehalten sein werden, in der Lage sein müssen, wieder Teil der Gesellschaft mit uns allen zu sein.“

Das in den sozialen Medien verbreitete Video zeigt nur das Ende dieser Antwort, die im Originalvideo bei 48:40 beginnt.

Laut der AFP-Redaktion in Rom hat Draghi das ihm zugeschriebene Zitat eindeutig nicht gesagt, auch wenn er einräumte, dass ungeimpfte Menschen an öffentlichen Orten mehr Einschränkungen ausgesetzt seien als Geimpfte.

Verschärfung des Grünen Passes

Während es in Italien zu Weihnachten 2021 keine besonderen Vorschriften für Familientreffen gab, war für den Zutritt zu vielen öffentlichen Plätzen ein Grüner Pass erforderlich. Ab dem 6. Dezember 2021 wurde für bestimmte Orte ein „verschärfter Grüner Pass“ eingeführt, der nur einen Genesungsnachweis oder einen Impfnachweis zulässt, wobei die Option eines negativen Tests entfällt. Menschen ohne Impfung oder Genesungsnachweis wird in Italien damit der Zutritt zu einer Reihe von öffentlichen Plätzen verwehrt. Diese Voraussetzungen entsprechen etwa der Wiener 2G-Regelung.

Impfpflicht für Menschen über 50

In den Facebook-Beiträgen wird weiterhin behauptet, dass „in Italien heute 500.000 ungeimpfte Menschen über 50 von der Arbeit freigestellt und ohne Gehalt zurückgelassen“ würden.

Dies bezieht sich auf eine Ankündigung der italienischen Regierung vom 5. Januar 2022. Darin heißt es, die Corona-Impfung sei ab dem 15. Februar für alle über 50-Jährigen verpflichtend, um Infektionen zu verhindern.

Obwohl die Beiträge den Eindruck erwecken, dass Draghi über diese Verordnung spricht, ist die Verordnung erst am 7. Januar 2022, also nach der Pressekonferenz mit Draghi, veröffentlicht worden.

Laut der neuen Regelung reicht für Menschen über 50 ein negativer Test nicht mehr aus, um ihren Arbeitsplatz betreten zu dürfen. Sie brauchen den erwähnten verschärften Grünen Pass. Unabhängig davon müssen ungeimpfte Menschen über 50 mit einer Geldstrafe von 100 Euro rechnen, wodurch die Impfung praktisch für alle Menschen über 50 ohne gültige gesundheitliche Ausnahme zur Pflicht wird.

Nach Angaben des nationalen italienischen Statistikamtes Istat sind von den 59 Millionen Einwohnern Italiens 28 Millionen über 50 Jahre alt.

Laut der italienischen Regierung haben am 4. Februar rund 1,5 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe nicht einmal die erste Impfdosis erhalten. AFP konnte keine offiziellen Schätzungen oder Berichte über die Auswirkungen des Gesetzes auf die Arbeitnehmenden finden.

Fazit

Die Behauptung, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi habe in einer Pressekonferenz gesagt, Ungeimpfte seien kein Teil der Gesellschaft, ist irreführend. Eine solche Aussage machte er nicht. Er sprach lediglich davon, dass von Corona-Maßnahmen betroffene Menschen bald wieder am normalen Leben teilnehmen können sollten.

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